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»Kalmann, was zum Teufel machst du denn da!«
Ein Interview mit Joachim B. Schmidt

Kalmann ist zurück! Joachim B. Schmidts zweiter Islandroman Kalmann und der schlafende Berg führt den selbsternannten Sheriff von Raufarhöfn bis nach Washington ins Capitol. Und wieder geht es auch um einen spannenden Mordfall im hohen Norden.

Der Schweizer Autor Joachim B. Schmidt spricht im Diogenes Interview über seinen neuen Roman. Im Gespräch verrät er, wie der erste Band um Kalmann in seiner Wahlheimat Island aufgenommen wurde.

Foto: © Tom Vining | Unsplash

Kalmann und der schlafende Berg ist die langersehnte Fortsetzung von Kalmann. Was hat Sie gereizt, Kalmanns Geschichte fortzuführen?
Joachim B. Schmidt: Eigentlich hatte ich es gar nicht vor. Kalmann ist ein genügsames Buch, in sich abgeschlossen, eine runde Sache. Aber dann setzte ich mich in einem leichten Anflug von Nostalgie an den Laptop und besuchte mit Kalmann seinen Großvater im Heim. Der fiel aus seinem Rollstuhl und begann sogar russisch zu reden! Es war eine Begegnung, die ich genoss, ich musste lachen und heulen, realisierte dabei, dass noch einiges in diesen Figuren steckt. Noch fehlte mir aber eine gute Geschichte. Das änderte sich am 6. Januar 2021, als die wütende Masse das Kapitol in Washington D.C. stürmte. In den isländischen Medien wurde eine Handy-Aufnahme gezeigt, auf der ein junger, etwas pummeliger Mann zu sehen war, der eine kleine Island-Fahne im Rucksack stecken hatte und verwirrt im ganzen Getümmel rumstand. Seine Identität konnte nicht festgestellt werden, aber ich wusste sofort, wer das war, bekam Gänsehaut am ganzen Körper und brüllte sogar den Fernseher an: »Kalmann, was zum Teufel machst du denn da!« 

Treffen wir trotz Schauplatzwechsel auf alte Bekannte? Zum Beispiel auf Kalmanns etwas obskuren besten Freund Nói?
Joachim B. Schmidt: Korrektomundo! Aber ich wollte die Geschichte nicht bloß wiederholen oder Kalmann als Schablone für eine Fortsetzung gebrauchen. Ich wollte neue Leute kennenlernen und den Freundeskreis erweitern. Aber natürlich begegnen wir auch Altbekannten. Einige von ihnen bekommen größere Rollen, wie etwa Kalmanns Mutter, Halldór oder Bragi, aber auch Nói fällt aus heiterem Himmel mitten in die Geschichte hinein. Er ist unabdingbar. Schließlich gilt es einen Mordfall zu lösen!

Wurde Raufarhöfn derart von Touristen überrannt, dass es Zeit war, den Schauplatz zu ändern?
Joachim B. Schmidt: Ha, schön wär’s! Das Fischerdorf Raufarhöfn ist noch immer ein unentdecktes, raues Juwel. Vielleicht war der Wegbeschrieb in Kalmann zu vage: »Bis ans Ende der Welt und dann links abbiegen.« Aber bei der Fortsetzung ging es mir in erster Linie darum, den Horizont auszuweiten, Kalmanns Welt zu vergrößern. Er ist schließlich ein Abenteurer.

Gibt es Parallelen zwischen dem Buchtitel Kalmann und der schlafende Berg und Kalmanns Umgang mit seinen Gefühlen, als er seine Vaterfigur verliert, zum Beispiel, oder der Umzug in eine fremde Stadt?
Joachim B. Schmidt: Ja, unbedingt. Für mich ist der schlafende Berg eine Metapher für Trauer, die in Kalmann hockt. Ein Ungetüm, das tief in ihm schlummert, das er mit sich schleppt, ein riesiger Klotz, den er verarbeiten muss – aber möglichst so, dass der Berg nicht plötzlich zum Leben erwacht. Kalmann und der schlafende Berg ist ein trauriges, aber zugleich sehr versöhnliches Buch. Es geht um Abschied und Einsamkeit. Diese Fortsetzung mag nicht ganz so heiter wie ihr Vorgänger sein, aber es war mir wichtig, der Geschichte eine Tiefe zu geben, die sie verdient.

Auch diesmal können wir uns auf einen Showdown freuen, auch wenn die Ereignisse Kalmanns Familie betreffen. Wie würden Sie die Entwicklung beschreiben, die Kalmann durchlebt?
Joachim B. Schmidt: Klar, es gibt ein Verbrechen, eine echte Gefahr, der Kalmann ausgesetzt ist, aber im Grund geht es in dem Buch um Trauerverarbeitung und die Suche nach einer Vaterfigur – die Kalmann in seiner Mutter findet. Ich wollte ihre Leistung wertschätzen. Kalmann will es zuerst nicht einsehen, aber seine Mutter ist eine wahre Heldin, die ihre Bedürfnisse tagtäglich zurücksteckt, um Kalmanns Wohlbefinden zu gewährleisten. Schließlich erfährt sie durch Kalmann diese Wertschätzung. Er wächst über sich selbst hinaus und ist bereit, sich seiner Trauer zu stellen.

Für ihren letzten Roman, eine Neuinterpretation der Tell-Geschichte, haben Sie sich von klassischer Literatur oder auch isländischen Sagas inspirieren lassen. Wie sind Sie bei der Recherche für diesen Roman vorgegangen?
Joachim B. Schmidt: Hier habe ich mich sehr vom aktuellen Weltgeschehen beeinflussen lassen. Denn Kalmann ist ein Anker, und er hat mit seiner speziellen Art häufig sehr wohltuende Antworten auf die großen Fragen parat. Auch wenn es manchmal guten Grund zur Sorge gibt, kann man sich einfach auf ihn verlassen, etwa, wenn er versehentlich am Sturm aufs Kapitol teilnimmt, vom FBI verhaftet wird oder mit einer globalen Pandemie umgehen muss. Er kennt die Regeln, er kennt das Gesetz, und darum sind seine simplen, aber logischen Gedanken zum verrückten Geschehen um uns herum oft sehr überzeugend. Ganz ohne fantastische Elemente komme ich aber auch diesmal nicht aus. Etwas Märchenhaftes gehört einfach zu einem Islandroman, finden Sie nicht?

Foto: © Jose Fontano | Unsplash

Sie wurden für Kalmann mit dem Crime Cologne Award 2021 ausgezeichnet, allerdings war bereits jenes Buch so viel mehr als ein Krimi. Wie steht es mit diesem Roman? 
Joachim B. Schmidt: Es steht ganz ähnlich, was bedeutet, ich weiß es nicht! Kalmann und der schlafende Berg ist ganz eindeutig ein Roman, der sich aber, je weiter wir im Buch blättern, immer mehr zum Krimi und zum Thriller entwickelt. Es ist ein erneuter Versuch, die Genres zu mischen, denn ein simpler Krimi allein würde mich langweilen. Was sich Kalmann so im Fernsehen anschaut und wie er es interpretiert, die Beziehung zu seiner Mutter, das alles interessiert mich nun mal auch.

Mittlerweile ist der erste Band auch in Ihrer Wahlheimat Island erschienen. Welche Reaktionen erhielten Sie darauf?
Joachim B. Schmidt: Meine schlaflosen Nächte waren unbegründet! Kalmann ist in Island sehr gut aufgenommen worden und erfreut sich großer Beliebtheit. Oben in Raufarhöfn redet man über Kalmann, als wäre er einer von ihnen. Als ich bei meinem letzten Besuch erzählte, dass Kalmann in der Fortsetzung seinen Radius erweitert, Raufarhöfn auch mal verlässt, war man sogar ein wenig beleidigt.

In Kalmann haben Sie auf aktuelle ökologische und politische Themen aufmerksam gemacht, u.a. Fangquotenverteilung, Fleischkonsum. Sind das Themen, die Ihnen besonders am Herzen liegen?
Joachim B. Schmidt: Ja, sie liegen mir am Herzen, und mit Kalmann habe ich eine Stimme gefunden, die Ungerechtigkeiten sofort erkennt. In Kalmann und der schlafende Berg spielt die Natur, wie der Titel eigentlich auch schon zu erkennen gibt, eine große Rolle. Ich mache mir Sorgen, wie schlecht wir mit ihr umgehen. Die Isländer sind da übrigens keine Ausnahme, sie gehören zu den größten Schmutzfinken dieser Welt. Obwohl wir seit Jahren eine linksgrüne Premierministerin haben, nimmt der Ausstoß von Schadstoffen Jahr um Jahr zu. Für das stetige Wachstum der Wirtschaft wird sogar wilde Natur geopfert, etwa durch kaum regulierte Fischzuchten, die die Fjorde verschmutzen. Wenn ich daran denke, dass wir auch in Reykjavik das Abwasser ungereinigt ins Meer spülen, manchmal sogar ungefiltert, weil die Filter immer wieder defekt sind, dann frustriert mich das sehr. Da braucht es einen Kalmann, der diese Informationen aufsaugt und ungefiltert von sich gibt. So gesehen steckt in dem Buch auch ein wenig Trauer um unsere schöne Natur; ein weiteres Opfer in dieser Geschichte.

Dürfen wir uns auch auf einen dritten Kalmann-Band freuen?
Joachim B. Schmidt: Gute Frage! Ich finde, Kalmann und der schlafende Berg ist ein genügsames Buch, in sich abgeschlossen, eine runde Sache …


Foto: © Eva Schram | Diogenes Verlag

Joachim B. Schmidt, geboren 1981, aufgewachsen im Schweizer Kanton Graubünden, ist 2007 nach Island ausgewandert. Seine Romane Tell und Kalmann waren Bestseller; mit Kalmann erreichte er den 3. Platz beim Schweizer Krimipreis und erhielt den Crime Cologne Award. Tell war auf Platz 1 der Schweizer Bestsellerliste und erhielt den Bündner Literaturpreis. Der Doppelbürger lebt mit seiner Frau und zwei gemeinsamen Kindern in Reykjavík.


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Kalmann und der schlafende Berg

Kalmann sitzt in der Tinte. Besser gesagt, er sitzt im FBI-Hauptquartier in Washington. Dabei wollte er eigentlich nur seinen amerikanischen Vater besuchen. Doch der lässt ihn hängen, und ehe Kalmann sichs versieht, sitzt er wieder im Flugzeug zurück nach Island. Im hohen Norden hat er aber auch keine Ruhe. Ein Mord ist geschehen, und die Spuren reichen zurück bis nach Amerika und in den Kalten Krieg. Und wer muss diesen explosiven Fall aufklären? Korrektomundo: Kalmann, der berühmte Sheriff von Raufarhöfn.



Interview mit Joachim B. Schmidt von Vanessa Lages Alves, März 2023
© by Diogenes Verlag AG Zürich