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»Verbrechen sind immer stark mit dem Ort und den Milieus verwoben, in denen sie verübt werden. Und was geschieht, wenn medizinischer Fortschritt auf menschliche Schwächen trifft?«
Ein Interview mit Seraina Kobler

Im neuen Zürich-Krimi Tiefes dunkles Blau schaut Seraina Kobler der jungen Seepolizistin Rosa Zambrano über die Schulter: Kurz nachdem sie in einer Kinderwunschpraxis Eizellen einfrieren lässt, wird nämlich ihr Arzt Dr. Jansen tot aufgefunden. Wer hat es auf den Biotech-Unternehmer abgesehen? Erste Spuren führen in eine Villa an der Goldküste, in die alternative Szene, in Genforschungslabore und ins Rotlichtmilieu.

Der Krimi feierte am 27. April 2022 seine Premiere. Im Diogenes Interview spricht Seraina Kobler über die Entstehungsgeschichte ihrer Protagonistin, ihre Recherchen und wo sich vielleicht auch ein Teil der Autorin im Buch versteckt hat.

Foto: Maurice Haas © Diogenes Verlag

Wie ist die Figur der Rosa Zambrano entstanden? Gab es einen bestimmten Auslöser?

Seraina Kobler: Die Figur der Rosa Zambrano entstand in einem Hinterhof in der Zürcher Altstadt. Im Sommer wird er von einer hohen Esche beschattet. Und im Winter riecht die Luft nach knisterndem Holz und dem Rauch, der in feinen Schleiern aus den Kaminen zieht. Vor zwei Jahren beendete ich dort meinen ersten Roman, eine ebenfalls in Zürich spielende Dystopie. Ich stellte mir vor, wie es wäre, noch ein Leben zu haben, ein Leben in solch einem uralten Gemäuer, mitten in der Stadt. Und dennoch mit einem geschützten Garten, der einen mit der Natur verbindet und gleichzeitig auch mit der Geschichte, mit der eigenen und mit der von denen, die zuvor hier waren. Die Idee war geboren.

Wie wurde aus der Idee ein Kriminalroman?

Seraina Kobler: Den habe ich schon länger mit mir herumgetragen, aber erst der richtige Ort hat ihn dann zum Leben erweckt. Die ersten Skizzen zu Rosa Zambrano haben sich fast von selbst geschrieben. Es war von Anfang an klar, dass sie Seepolizistin sein muss. Die Arbeit auf und am Wasser ist stark mit der Natur verbunden, mit den Vögeln und Fischen und all den anderen Lebewesen, die den See bevölkern – und natürlich auch den Roman.

Ist Ihnen der Zürichsee ebenso wichtig wie für Rosa Zambrano?

Seraina Kobler: Das ist bestimmt etwas, was wir teilen. Der See ist der dunkle Fleck auf der nächtlichen Landkarte. Am liebsten mag ich ihn in den frühen Morgenstunden, kurz nach dem Regen oder im Winter, dann verströmt er die größte Ruhe und gleicht das Chaos der Stadt aus.

Photo by Louis Droege on Unsplash

Für einen Krimi sind Kenntnisse der Polizeiarbeit immens wichtig. Wie sind Sie bei der Recherche vorgegangen?

Seraina Kobler: Zuerst war ich etwas schockiert, als ich gemerkt habe, wie tief die Klischees aus den Fernsehfilmen saßen. Dann habe ich viele Gespräche geführt und durfte auch einen halben Tag auf der Wache der Seepolizei verbringen und die Schiffe besichtigen. Der Rechen mit den messerscharfen Widerhaken zur Suche von Wasserleichen wird tatsächlich verwendet. Da es in Zürich aber eine städtische und eine kantonale Seepolizei an verschiedenen Standorten gibt, habe ich mit dem Forellensteig einen fiktiven Ort für die Wache im Roman geschaffen. Das zeigt auch ganz gut den Prozess auf. Mir war wichtig, über die nötigen Details Bescheid zu wissen, die Abläufe bei einer Bergung oder auch einer Obduktion zu kennen. Anschließend habe ich das dann aber wieder in etwas Eigenes überführt. Und habe mich immer mehr getraut, eine eigene Welt zu schaffen. Unserem Zürich sehr ähnlich, aber eben doch anders.

Die Stadt spielt neben dem See eine weitere Hauptrolle, an den feinen Beobachtungen der Gassen und Cafés und in der Beschreibung der Bewohnerinnen und Bewohner erkennt man eine große Liebe zu Zürich. Woher kommt diese?

Seraina Kobler: Als ich ein Kind war, sind wir sehr viel umgezogen. Meine ersten Lebensjahre verbrachte ich in einem Bergdorf im Onsernonetal, gleich neben dem Literatendorf Berzona (Tessin, Schweiz). Später lebten wir im Grenzgebiet von Basel, und erst mit Anfang zwanzig kam ich dann nach Zürich. Dafür bin ich bis heute geblieben. Ich war noch nie zuvor so lange an einem Ort. Man kann täglich Neues entdecken und sich doch in gewohnten Bahnen bewegen. Das fand ich auch als Schauplatz für einen Krimi sehr spannend. Denn Verbrechen sind ja immer stark mit dem Ort und den Milieus verwoben, in denen sie verübt werden. Darin konzentriert sich vieles, das eine Stadt oder ein Land ausmacht. Ich bin sicher, da geht mir der Stoff lange nicht aus.

Wie sind Sie zum Schreiben gekommen?

Seraina Kobler: Zuerst war da das Lesen. Eigentlich schon, seit ich denken kann, es war immer da. Als Kind habe ich jedes Buch verschlungen, das mir in die Hände kam. Es gab Zeiten, da lebte ich fast mehr in den Geschichten als in der normalen Welt. Das hat mich stark beeinflusst, und irgendwann habe ich gemerkt, dass Schreiben eigentlich wie Lesen ist – nur von der anderen Seite.

Zuerst schrieben Sie als Journalistin bei verschiedenen Schweizer Zeitungen. Spielt das auch in Ihr jetziges belletristisches Schaffen hinein?

Seraina Kobler: Natürlich! Die meiste Zeit über berichtete ich über Sozialpolitik, aber auch über Bildung, Umwelt und Ethik. Spannend wird es für mich immer dort, wo es Schnittmengen zur Gesellschaft gibt. Diesen Blickwinkel nehme ich auch in meine Romane mit. Die Recherche funktioniert für beide ähnlich. Und doch ist das Schreiben grundverschieden. Denn das Fiktionale verlangt und bedingt, was im Faktischen verboten ist. Und umgekehrt.

Ein Teil der Handlung von ›Tiefes, dunkles Blau‹ ist inspiriert von einem preisgekrönten Essay, den Sie zum Thema Genschere geschrieben haben.

Seraina Kobler: Das ist ein schönes Beispiel, wie das zusammengehen kann. In dem Text setze ich mich auf eine sehr persönliche Art mit dem Thema auseinander, als kritische Journalistin und als Mutter, die sich um die Gesundheit ihrer Kinder sorgt und merkt, dass sie mit der Journalistin nicht mehr einig ist. Dieses Spannungsfeld wollte ich mitnehmen. Was geschieht, wenn medizinischer Fortschritt auf menschliche Schwächen trifft? Und was wäre, wenn wir tatsächlich Krankheiten wie Alzheimer oder Krebs aus den Zellen unsere ungeborenen Kinder löschen könnten? Das sind Fragen, mit denen wir uns auch als Gesellschaft in den kommenden Jahren auseinandersetzen werden müssen. Und die im Roman schon jetzt verhandelt werden.

Um sich von ihren Ermittlungen und den ethischen Fragen rund um die medizinische Spitzenforschung Pausen zu verschaffen, kocht Seepolizistin Rosa sehr ausgefeilt, wovon vor allem ihr Freundeskreis profitiert. Gibt es hier autobiographische Einflüsse – wie viel Seraina steckt in der Figur Rosa?

Seraina Kobler: In Bezug auf das Kochen und die Natur teilen wir vieles, den intuitiven Zugang, die Poesie des Essens. Ich würde aber auch sagen, Rosa lebt einige meiner Sehnsüchte, wie etwa einen eigenen Garten vor der Haustüre. Zudem hat sie sie etwas mehr Zeit und Ruhe zum Kochen, wenn sie nicht gerade mitten in einem Fall steckt.

Wie wird es denn mit Rosa weitergehen? Ist schon eine Fortsetzung geplant?

Seraina Kobler: Es gibt tatsächlich schon den Anfang eines weiteren Manuskripts. Die zweite Folge wird im Winter spielen, wenn Schnee, Eis und Feuer bei einem Brand im Hafen aufeinandertreffen. Das Zuhausesein spielt eine wichtige Rolle, was ja in Zürich ein großes Thema ist, weil eigentlich permanent Wohnungsnot herrscht und die Mieten auf dem freien Markt immer mehr Menschen und Familien aus der Stadt drängen. Und natürlich erfahren wir dort auch, wie sich die Anziehung zwischen Rosa und Martin weiterentwickelt. Oder ob vielleicht ihr Exfreund Leo aus dem Ausland zurückkommt?

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Tiefes, dunkles Blau

Ein Zürich-Krimi

Seraina Kobler, geboren 1982 in Locarno, arbeitete nach dem Studium der Linguistik und Kulturwissenschaften als Journalistin unter anderem bei der ›Neuen Zürcher Zeitung‹, bevor sie sich als Autorin selbstständig machte. 2020 erschien ihr Romandebüt Regenschatten, und sie gewann den Essaypreis der Zeitung ›Der Bund‹. Ihren ersten Zürich-Krimi um die Seepolizistin Rosa Zambrano hat Seraina Kobler in ihrem Atelier im Schwarzen Garten inmitten der Zürcher Altstadt geschrieben. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich.

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