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Das Vorwort zu den Tage- und Notizbüchern von Patricia Highsmith

»Die Möglichkeit zu erfahren, wie Patricia Highsmith sich selbst sah.« Anna von Planta

Endlich sind sie da: Die sehnsüchtig erwarteten Tage- und Noitzbücher von Patricia Highsmith. Aus 18 Tage- und 38 Notizbüchern, 8000 Seiten persönlicher Aufzeichnungen von Patricia Highsmith, haben Herausgeberin Anna von Planta und ihr Team eine Weltneuheit publiziert. Wie der Weg zum Buch aussah und worin die Herausforderungen der Neuerscheinung liegen, erklärt Anna von Planta im hier veröffentlichten Vorwort:

 

 

Foto: © Ruth Bernhard

Vorwort

»Wie es zu diesem Buch kam«

»Ihr letztes Haus wirkte nach außen wie eine Festung, abweisend und kahl. Bei Interviews waren ihre einsilbigen Antworten gefürchtet. Eine Biographie zu Lebzeiten hat sie immer abgelehnt. Wer Patricia Highsmith nahekommen wollte, war lange Zeit allein auf ihr Werk angewiesen. Umso überraschender war es, als nach ihrem Tod neben einer Vielzahl unveröffentlichter Kurzgeschichten auch eine lange Reihe von 56 aufrecht nebeneinanderstehenden dicken Heften gefunden wurde, 18 Tagebücher und 38 Notizbücher, geschätzte 8000 Seiten Selbstzeugnisse – in ihrem Wäscheschrank. Damit gibt es zum ersten Mal die Möglichkeit zu erfahren, wie Patricia Highsmith sich selbst sah. Und zwar, nachdem sie schon in sehr jungen Jahren mit dem Schreiben begonnen hatte, quer durch fast alle Phasen ihres Lebens.
   Patricia Highsmith plante schon früh, ihre Notizbücher zu veröffentlichen. Dafür sprechen die Einheitlichkeit der verwendeten Columbia-Hefte sowie der Umstand, dass sie immer wieder Umdatierungen, Kommentare und Streichungen vornahm. Vor allem aber gibt es schriftliche Anweisungen: Einem in ihr 19. Notizbuch geklebten Zettel kann man entnehmen, dass zuerst Collegefreundin Kate Kingsley Skattebol eine Auswahl herausgeben sollte. Auf dem Zettel steht beim Eintrag vom 2. April 1950: »Kingsley, bitte hab etwas Geschmack, wenigstens so viel Geschmack, wie ich 1950 habe, das auszujäten, was schon geschrieben ist und was erst kürzlich geschrieben wurde.« Zwischendurch erwog die Autorin auch, die Notizbücher zu verbrennen oder sie den Lesbian Herstory Archives in Brooklyn zu übergeben. Stattdessen nahm sie ihre Tage- und Notizbücher ausdrücklich als Teil ihres Werks in den Generalvertrag mit auf, in dem sie Anfang der 1990er Jahre die Weltrechte an ihrem literarischen Nachlass dem Diogenes Verlag übertrug – ein Vertrauensbeweis nicht nur an den Verlag, sondern auch an ihren Freund Daniel Keel, den sie zu ihrem literarischen Nachlassverwalter ernannte und dem sie die Aufgabe übertrug, in ihrem Sinne auch über die Herausgabe der Tage- und Notizbücher zu bestimmen.
   Der Gründer des Schweizer Diogenes Verlags war seit 1967 Patricia Highsmiths deutschsprachiger Verleger. Als junger Mann hatte Keel Hitchcocks Verfilmung von Zwei Fremde im Zug im Kino gesehen und war sitzen geblieben, bis der Name der Autorin im Abspann zu sehen war. Er war entschlossen, ihre Bücher im Hardcover zu veröffentlichen, weil er sie, obwohl zumeist im Spannungsgenre angesiedelt, für große Literatur hielt. Der Erfolg gab ihm recht, und nachdem ihr Roman Ediths Tagebuch 1978 den Sprung auf die Spiegel-Bestsellerliste schaffte, ernannte Highsmith den Diogenes Verlag zu ihrem internationalen Agenten. Als dann ihr langjähriger US-Verleger Larry Ashmead 1983 zwei ihrer Romane ablehnte, übertrug sie Diogenes die Weltrechte.
   Ich selbst lernte Patricia Highsmith 1984 kennen, als Daniel Keel mir das Manuskript von Found in the Street / Elsie’s Lebenslust auf den Tisch legte und sagte, er habe in einem nahen Hotel für einen der folgenden Tage einen Termin mit der Autorin vereinbart, deren Lektorin ich hiermit sei. Pat empfing mich zurückhaltend, ließ meine zum Gruß ausgestreckte Hand unbeachtet in der Luft hängen, bestellte ein Bier und schwieg. Erst nach einer halben Stunde gelang es mir, über das Manuskript, das zwar im heutigen New York spielte, aber sich für mich sehr nach den 1950er Jahren anfühlte, ein flüssiges Gespräch in Gang zu bringen. Zuletzt lachte sie sogar. Zurück im Verlag, berichtete ich dem Verleger von dem zuerst sehr stockenden Kennenlernen. Zu meinem Erstaunen gratulierte er mir über schwenglich mit der Begründung, er selbst habe Jahre gebraucht, um ihr mehr als ein Ja oder Nein zu entlocken.
   Als Daniel Keel und Patricia Highsmith vor ihrem Tod zusammen ihre Papiere sichteten, wurden die Tage- und Notizbücher explizit als Teil ihres literarischen Nachlasses aufgelistet, zusammen mit ihren noch unveröffentlichten Romanen und Kurzgeschichten. Daniel Keel sah in ihnen von Anfang an einen immensen Schatz, der in seiner Verschränkung als Ganzes gehoben werden sollte – eine Aufgabe, die er mir als ihrer langjährigen Lektorin und später Mitherausgeberin ihrer Werkausgabe in dreißig Bänden (Zürich, Diogenes 2002 – 2006) übertrug.«

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Tage- und Notizbücher

»Editorische Notiz«

»Aus geschätzt 8000 Seiten ein Buch zu machen und dem Material dabei gerecht zu werden, war eine enorme Herausforderung. Zuerst mussten die handschriftlichen Seiten transkribiert werden – allein schon die Arbeit vieler Jahre. Kate Kingsley Skattebol hat die Transkriptionen mit den handschriftlichen, oft schwer zu entziffernden Originalen abgeglichen und mit hilfreichen Anmerkungen versehen. Schon die schiere Masse legt nahe, eine Auswahl zu treffen, die Essenz dieses »Werks hinter dem veröffentlichten Werk« herauszuarbeiten. Die Autorin hatte ja bereits selbst erkannt: Die Tageund Notizbücher Wort für Wort vorzulegen, dafür gibt es zu viele Redundanzen, Indiskretionen, zu viel Klatsch und Tratsch. Besonders in den 1940er Jahren, als die junge Highsmith noch jedes Detail festhielt; die Einträge aus dieser Zeit sind mit Abstand die umfangreichsten, über die Hälfte des gesamten Materials. Wir haben dieses Verhältnis bei unserer Auswahl beibehalten. Auch inhaltlich haben wir uns bemüht, die Proportionen zu wahren und den Themen und Personen, mit denen sich die meisten von Highsmiths Einträgen befassen, ebenfalls den größten Raum einzuräumen. So bleibt nicht nur erkennbar, in welchen Lebensphasen Highsmith mehr und in welchen sie weniger geschrieben hat, sondern auch mit welchen Fragen sie sich wann am meisten beschäftigt hat.
   Der Aufbau des vorliegenden Buches ist chronologisch und in größere Zeitabschnitte aufgeteilt, basierend auf Highsmiths jeweiligem Lebensmittelpunkt: von den Anfängen in den USA über verschiedene Stationen in Europa in ihren mittleren Jahren bis zu ihrem Alterswohnsitz in der Schweiz.
   Auch wenn es noch frühere Notizbucheinträge gibt, setzt diese Auswahl 1941 ein, als Patricia Highsmith auch mit dem Tagebuchschreiben begann. Ab da gibt es eine doppelte Buchführung ihres Lebens: Sie nutzte die Tagebücher, um ihre vielen Erlebnisse festzuhalten, die Notizbücher, um sie intellektuell und literarisch zu verarbeiten. Die Notizbücher sind Arbeitshefte; sie enthalten Überlegungen und sind Spielwiesen für Einfälle, die Highsmith mit dem deutschen Wort »Keime« bezeichnet, oder »Keimchen«, Ideen und ganze Passagen für mögliche Kurzgeschichten und Romane. Die Tagebücher helfen beim Verstehen der Notizbücher, sie liefern einen persönlichen Kontext, eine biographische Verortung.
   Tage- und Notizbucheintragungen sind deshalb in diesem Buch nicht voneinander getrennt, sondern miteinander verwoben und verzahnt. Man erkennt sie an den unterschiedlichen Datumsformaten: die Tagebucheinträge mit ausgeschriebenem Monat, die Notizbücher in numerischer Form, so wie Highsmith selbst es hielt.
   Die Tage- und Notizbücher können unabhängig voneinander bestehen, aber nur zusammen ergeben sie ein in ihren eigenen Worten formuliertes Gesamtbild von Patricia Highsmith, einer Autorin, die die persönlichen Quellen ihrer Stoffe ein Leben lang verschwieg und deren Romane scheinbar eher von ihrer Person ablenkten, als zu ihr hinzuführen.
   Im Unterschied zu den Notizbüchern, die fast ausschließlich auf Englisch geschrieben sind, sind die Tagebücher bis 1952 in bis zu fünf Sprachen verfasst. Die Autodidaktin Highsmith, die sich Französisch, Deutsch, Spanisch und Italienisch weitgehend selbst beibrachte, nannte sie »Übungen in Sprachen, die ich nicht beherrsche«. Highsmith, zu deren Lieblingsbüchern Wörterbücher gehörten, liebte das Spiel mit Worten, und mit jeder neuen Sprache stand ihr ein neues Spielfeld zur Verfügung, auf dem sie sich austoben konnte. Ihre Lernbegeisterung hängt sicher auch mit dem früh gehegten Wunsch zusammen zu reisen, ihrem Selbstbild als Frau von Welt. Und mit Sicherheit diente die Übung auch dazu, die intimeren Notate zu verschlüsseln und so vor Blicken unbefugter Leserinnen zu schützen.
   Fremdsprachige Passagen in den Tagebüchern wurden übersetzt, im Original deutsche Passagen ebenfalls aus Highsmith-Deutsch in eine verständlichere Form. An der Markierung durch hochgestellte Buchstaben lässt sich die Originalsprache eines Eintrags erkennen: Einträge, die mit D / DD  eingefasst sind, wurden original auf Deutsch verfasst, solche mit F / FF auf Französisch, mit IT / ITIT auf Italienisch und mit SP / SPSP auf Spanisch. (Im Anhang finden sich ein paar beispielhafte Originaleinträge in jeder der Fremdsprachen.)
   Wir haben uns entschieden, zugunsten der Lesbarkeit die Vielzahl an Kürzungen nicht kenntlich zu machen. Es ist offensichtlich, dass in diesem Buch nur ein Bruchteil von Patricia Highsmiths gesamten Aufzeichnungen abgedruckt werden konnte. So sind zum Beispiel die meisten ihrer rein fiktionalen Einträge nicht enthalten, von denen sich viele in ihrem veröffentlichten Werk wiederfinden, aber auch solche Einfälle, die sie wieder verworfen hat. Auslassungen und Flüchtigkeitsfehler der Autorin wurden behoben, für das Verständnis notwendige Ergänzungen in eckigen Klammern hinzugefügt. Umfassendere Erläuterungen sowie Hinweise zu erwähnten Personen befinden sich in einer Fußnote, außer in den Fällen, in denen zu einer erwähnten Person nicht mehr bekannt war als das, was wir ohnehin von Highsmith selbst erfahren. Besonders in den 1940ern begegnet Patricia Highsmith einer Vielzahl von Menschen; diejenigen, die in ihrem Leben eine Rolle spielen werden, werden Leserinnen und Lesern bald vertraut sein, andere werden vielleicht nur wenige Male erwähnt.
   Bei nichtöffentlichen Personen wurden zum Schutz der Privatsphäre nur Vornamen oder Initialen angegeben – es sei denn, sie wurden bereits von Highsmiths Biographen namentlich erwähnt – , auch wenn die meisten von ihnen inzwischen verstorben sind. Aus demselben Grund haben wir auch keine zusätzlichen Annotationen in den Fällen beigefügt, wo sie dabei helfen könnten, die Person zu identifizieren. Ein paar für Highsmith besonders wichtige Privatpersonen wurden von den Biographen mit Pseudonymen versehen, so etwa ihre große Liebe in England in den 1960ern, die ihr Biograph Andrew Wilson nur X nennt und ihre Biographin Joan Schenkar »Caroline Besterman«, oder auch Camilla Butterf ield, Schenkars Pseudonym für eine andere Freundin, ebenfalls aus den 1960ern. Wir haben mit Joan Schenkars Einwilligung ihre Pseudonyme beibehalten; die Namen von Caroline Bestermans Familienmitgliedern wurden ebenfalls anonymisiert. Umgekehrt wurde bei bereits namentlich eingeführten und eindeutig zuzuordnenden öffentlichen Personen bei Bedarf der volle Name in eckigen Klammern ergänzt.
   Die Tage- und Notizbücher sind Patricia Highsmiths private Aufzeichnungen und enthalten damit natürlich ihre persönlichen Ansichten über Personen und Ereignisse, die von ihren eigenen Vorurteilen und denen ihrer Zeit beeinflusst sind. Highsmith war widersprüchlich und kantig, und Leserinnen und Leser werden einige ihrer abfälligen Äußerungen als beleidigend empfinden, insbesondere wenn sie sich, wie es zuweilen der Fall ist, gegen ohnehin schon marginalisierte Gruppen wie Afroamerikaner oder Juden richten. In frühen Einträgen ist es häufig ein vor allem sprachliches Problem, wenn Highsmith Ausdrücke verwendet, die zu der Zeit üblich waren, inzwischen jedoch als abfällig gelten. Dessen war sich die Autorin selbst bewusst, wie aus ihrer Bitte hervorgeht, das Wort »negroes« für die neue Ausgabe von Carol von 1990 in »Schwarze« zu ändern (so haben wir es auch in dieser Ausgabe gehalten). Besonders in späteren Jahren ist es jedoch manchmal nicht nur Highsmiths Sprache, sondern sind ihre Ansichten selbst beleidigend, gehässig und menschenfeindlich. Wir wollten Highsmith so getreu wie möglich abbilden; in wenigen extremeren Fällen empfanden wir es aber als unsere redaktionelle Pflicht, ihr eine Bühne zu verweigern, so wie wir auch gehandelt hätten, als sie noch lebte. Die Wurzeln ihrer Ressentiments sind schwer zu bestimmen, insbesondere im Fall ihres wachsenden Antisemitismus, der umso mehr zu einem Mysterium wird, als wir in diesem Band erfahren, wie viele Jüdinnen und Juden unter den für sie wichtigsten Personen, ihren engen Freundinnen und Freunden, Liebhaberinnen und Lieblingskünstlern waren.
   Wie viele, die ein Tagebuch führen, neigte Highsmith dazu, in schwierigen Zeiten mehr zu schreiben, was zu einer verzerrten Darstellung ihres Lebens führt. Andere Quellen zeigen, dass dieses Leben nicht ganz so düster war, wie es hier manchmal scheinen mag. Und natürlich ist, wie bei jedem Selbstporträt, die Person, der wir begegnen, nicht unbedingt die »echte«, sondern die, für die sie selbst sich hielt oder halten wollte. Der Akt der Erinnerung ist auch ein Akt der Interpretation – von sich selbst ebenso wie von anderen. Viele Menschen haben das Bild der finsteren, bissigen späten Highsmith vor Augen, und dieser Band wird ihre erste Begegnung mit der Autorin als fröhliche junge Frau sein, mit optimistischem, ehrgeizigem Blick auf die Zukunft. Er sollte nicht als Autobiographie gelesen werden. Stattdessen soll diese Auswahl aus ihren Tage- und Notizbucheintragungen es ermöglichen, in den eigenen Worten der Autorin zu erkennen, wie aus Patricia Highsmith Patricia Highsmith wurde.

Zürich, im Juli 2021

Anna von Planta
in enger Zusammenarbeit mit
Friederike Kohl, Kati Hertzsch,
Marie Hesse und Marion Hertle«

Seiten 11 bis 17 aus Patricia Highsmith: Tage- und Notizbücher. Herausgegeben von Anna von Planta. Aus dem Amerikanischen von Melanie Walz, pociao, Anna-Nina Kroll, Marion Hertle und Peter Torberg. Diogenes Verlag 2021.

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