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Eine Leseprobe aus Charles Lewinskys neuem Roman ›Täuschend echt‹

Charles Lewinskys neuer Roman Täuschend echt ist ein Gedankenspiel über Chancen, Täuschung und Autorschaft in Zeiten von KI: Ein Werbetexter verliert alles auf einen Schlag: Liebe, Geld und Karriere. Dank künstlicher Intelligenz schafft er es, sich wieder aufzurappeln. Die neue Technologie hilft ihm, ein Buch zu schreiben, das große Beachtung findet, weil es angeblich die »Geschichte eines wahren Schicksals« erzählt. Nur eine Frau weiß, dass das nicht stimmt: die ehemalige Geliebte, die den nun so gefeierten Autor schon einmal um alles gebracht hat.

Mit der exklusiven Leseprobe erhalten Sie jetzt einen ersten Einblick ins Buch.

Leseprobe

Auszug Seite 11-16

Ich bin langweilig.
Sagt sie.
Das kann ich akzeptieren. Ich bin kein Entertainer. Für Karaoke ungeeignet.

Ihre Sachen waren verdächtig schnell gepackt. Was mich annehmen lässt, dass ihr spontaner Abgang gründlich vorbereitet war.
Das Terrarium hat sie zurückgelassen. »Es wird jemand vorbeikommen und es abholen«, hat sie gesagt.
Mit anderen Worten: Sie hat einen anderen. Ich kann ihn mir vorstellen. Bestimmt ist er in und hip oder wie man das heute nennt. Mit einem gepflegten Dreitagebart und weißen Turnschuhen. Die nicht mehr Turnschuhe heißen, sondern


Sneakers. Streetwear.
Es müsste ein Computerprogramm geben, das die deutsche Sprache automatisch in den gerade angesagten Slang übersetzt. Man klickt auf »Jugendsprache«, und aus »Guten Tag« wird »Hey, Alter«.
Falls das heute noch jemand sagt.

Sie hat ihre Spontaneität gründlich vorbereitet. Ein Alphabet von Gemeinheiten. Alle meine schlechten Eigenschaften, von »altmodisch« bis »zickig«.
Aber es ist nicht zickig, wenn ich in meinen Jazzplatten Ordnung haben will. Und in meinen Büchern.


Sie liest natürlich auf einem E-Reader.
Als ob man konzentriert lesen könnte, wenn gleichzeitig auf dem Handy alle paar Minuten eine neue Mitteilung aufploppt. Facebook, Instagram, TikTok, X oder wie die Medien alle heißen, von denen ich mich fernhalte.
Natürlich, ich verbringe auch viel Zeit im Netz. Aber doch nicht, um Unwichtiges über unwichtige Leute zu erfahren.
Auch das hat sie mir vorgeworfen. »Du lebst nicht in der Gegenwart«, hat sie gesagt.
Aber was jeden Tag milliardenfach über diese Netzwerke ausgekotzt wird, ist nicht die Gegenwart. Schon gar nicht die Wirklichkeit. Ein Zerrbild, durch immer neue Filter gejagt, bis es so aussieht, wie jemand gedacht hat, dass es aussehen müsse. Fake News. Fake Feelings.
Heutzutage kann sich jeder eine Wirklichkeit ausdenken. Es werden sich immer Menschen finden, die daran glauben.


Als unser Fernseher den Geist aufgab


Warum schreibe ich »unser«? Es ist meiner. Sie ist nur zu
Gast.


War nur zu Gast.

Als der Fernseher kaputtging, hat sie gemeint, es sei Geldverschwendung, einen neuen zu kaufen. »Fernsehen ist etwas für alte Leute«, hat sie gesagt. Aber auf ihrem Tablet sieht sie sich stundenlang Realityshows an, in denen Laiendarsteller so tun, als ob sie das, was man ihnen ins Drehbuch geschrieben hat, tatsächlich erleben würden. »Ich betrachte das natürlich nur auf der Metaebene«, sagt sie. Hat sie gesagt. »Als interessantes kulturelles Phänomen.«
Forscher in den USA haben festgestellt: Wenn Sie Ihre Scheiße kulturelles Phänomen nennen, stinkt sie nicht mehr.
Auf der Metaebene.
Auch meinen Plattenspieler fand sie lächerlich. Dabei kann sie bei ihren mp3s von so einer Tonqualität nur träumen. »Ein Relikt aus der Steinzeit« hat sie ihn genannt. »Wie wenn du deine Wohnung immer noch mit Öllämpchen beleuchten würdest.« Dabei ist ein Technics sl-1200 so was wie ein Rolls-Royce.
Und das Schlimmste: Klassischen Jazz findet sie langweilig. »Das Gedudel klingt doch jedes Mal gleich«, hat sie gesagt. »So etwas hört man sich nicht freiwillig an.«
Aber sie lässt denselben Song zwanzigmal hintereinander laufen. Mit Kopfhörern, immerhin, aber das Wummern der Bässe teilt sie trotzdem mit mir.
Duffa, duffa, duffa.
Ich hätte wissen müssen, dass wir nicht zusammenpassen.

Das stand auch auf ihrer Vorwurfsliste: Ich sei zu Beziehungen nicht fähig. Nur weil es nicht meine Art ist, meine Gefühle als Plakat vor mir her zu tragen. Aber ich habe sie trotzdem 

»Liebe« ist ein zu großes Wort. Ein Versatzstück für die letzte Szene eines Films.
Ich war gern mit ihr zusammen.
Am Anfang.

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Hölle. Das muss jemand aus der Schöpfungsgeschichte herausredigiert haben.
Ich habe nie verstanden, warum der Teufel immer männlich dargestellt wird. Er ist natürlich eine Frau. Ein Meter siebenundsechzig groß. Blonde Haare, wenn sie frisch gebleicht sind. Kleidergröße vierzig. Sie sagt achtunddreißig, aber das macht sie sich vor.
Keine Hörner, die setzt sie anderen auf.

»Du machst die schlechtesten Wortspiele der Welt.« Auch das hat sie mir vorgeworfen. Aber als sie mich Messie schimpfte und ich an den Fußballspieler dachte, da sollte das kein Wortspiel sein. Ich konnte mit dem Ausdruck einfach nichts anfangen. Nicht in Bezug auf mich.
Man ist kein Messie, nur weil man Dinge gern aufbewahrt. »Man muss mit leichtem Gepäck durchs Leben gehen «, sagt sie. »Alles Überflüssige wegschmeißen.« Nur: Was wirklich überflüssig war, stellt sich erst heraus, wenn man es schon weggeschmissen hat.
Meinen alten Teddy konnte ich gerade noch retten. Sie wollte ihn in die Mülltüte stecken.

Seine Knopfaugen waren von Anfang an schlecht befestigt gewesen, und irgendwann ist er blind geworden. Damals, ich werde vier Jahre alt gewesen sein oder fünf, habe ich nicht erlaubt, dass meine Mutter ihm neue Augen annähte. Er wäre dann nicht mehr meiner gewesen. Als ich zu Hause auszog, habe ich ihn mitgeschleppt und später in die Wohnung zurückgebracht. Jetzt sitzt er im Regal bei den Sachen aus meiner Schulzeit.
Sitzt er wieder im Regal.

»Als ob du dir mit all dem Kram beweisen müsstest, dass du überhaupt existierst«, hat sie gesagt. Hat mir mein altes Tagebuch als Argument vor die Füße geschmissen. »So einen Scheiß bewahrst du auf«, hat sie gesagt.
Ich habe zum letzten Mal Tagebuch geführt, als ich sechzehn war. Siebzehn. Die meisten Seiten sind leer geblieben. Ich war schon damals kein Mensch, der viel erlebt.
Gerade deshalb will ich es aufbewahren.
»Wozu?«, hat sie gefragt.
Muss es für alles einen Grund geben?
»Vielleicht schreibe ich mal meine Memoiren«, habe ich gesagt.
Und sie, in dem verächtlichen Ton, der immer schon da gewesen sein muss, den sie aber weggeheuchelt hatte, solang ihr das nützlich war, ein flüchtig übermalter Rostfleck: »Dazu müsstest du erst einmal etwas erleben. Man komponiert keine Symphonien, nur weil man auf der Blockflöte Hänschen klein spielen kann.«
Dann hat sie es gesungen. Immer wieder. Hänschen klein, ging allein. Ging allein. Ging allein.
Hat dabei auf die Uhr gesehen. Wollte es unauf fällig tun, aber eine so gute Schauspielerin ist sie auch wieder nicht.

Sie wird ihrem neuen Freund, ihrem neuen Opfer, exakt gesagt haben, wann sie abgeholt werden wollte. So, wie alles an dieser spontanen Szene geplant war.
Ich habe mich ihr nicht in den Weg gestellt. Habe nicht gebettelt. Sie hatte sich zum Gehen entschlossen, und ich habe sie gehen lassen.
»Wenn du dich wenigstens wehren würdest.« Das war das Letzte, was sie zu mir gesagt hat.


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Täuschend echt

Ein Werbetexter verliert alles auf einen Schlag: Liebe, Geld und Karriere. Dank künstlicher Intelligenz schafft er es, sich wieder aufzurappeln. Die neue Technologie hilft ihm, ein Buch zu schreiben, das große Beachtung findet, weil es angeblich die »Geschichte eines wahren Schicksals« erzählt. Nur eine Frau weiß, dass das nicht stimmt: die ehemalige Geliebte, die den nun so gefeierten Autor schon einmal um alles gebracht hat.
Mehr zum Inhalt

Ein reicher Wohltäter hat eine Idee: Er möchte Bücher schreiben lassen über die drängendsten Themen der heutigen Zeit. Es sollen Geschichten von wahren Schicksalen sein, die aufrütteln und ein Umdenken in Klima- und Gesellschaftsfragen bewirken. Ein arbeitsloser Werbetexter erhält den Auftrag für den ersten Band. Da es ihm an Fakten mangelt, erfindet er mithilfe der künstlichen Intelligenz eine „wahre Geschichte“, die alles enthält, was bei den Lesern gut ankommt – und hat tatsächlich Erfolg damit. Charles Lewinsky exerziert in diesem Buch vor, was beim Schreiben mit KI entsteht. Ein raffiniertes, unterhaltsames Gedankenspiel über Autorschaft in Zeiten neuer Technologien.


Hardcover Leinen
352 Seiten
erschienen am 23. Oktober 2024

978-3-257-07306-5
€ (D) 26.00 / sFr 35.00* / € (A) 26.80
* unverb. Preisempfehlung
Auch erhältlich als

Charles Lewinsky, 1946 in Zürich geboren, ist seit 1980 freier Schriftsteller. International berühmt wurde er mit seinem Roman Melnitz. Er gewann zahlreiche Preise, darunter den französischen Prix du meilleur livre étranger sowie den Preis der Schillerstiftung. Sein Werk erscheint in 14 Sprachen. Charles Lewinsky lebt im Sommer in Vereux (Frankreich) und im Winter in Zürich.