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Lektoren und andere Verkehrspolizisten

Von Hansjörg Schneider

Da ein Roman von mir, der vor 36 Jahren herauskam, neu aufgelegt wird, hab ich die neuen Druckfahnen lesen müssen. Erst wollte ich ablehnen. Denn wie soll ich etwas, was ich vor einem halben Menschenleben geschrieben habe, verbessern? Dann hat es mich aber doch wundergenommen, was ich damals geschrieben habe, und ich habe zu lesen angefangen.

Foto: © Bastian Schweitzer / Diogenes Verlag

Da ist mir dreierlei aufgefallen. Erstens, wie wenig ich mich seither offenbar geändert habe. Der Mann, der damals den Roman schrieb, ist im Grossen und Ganzen noch immer der, der ich heute bin. Diese Erkenntnis war einerseits beängstigend. Ich hatte die Möglichkeit zur eigenen Veränderung, Verbesserung überschätzt. Anderseits war die Erkenntnis auch tröstlich. Offenbar habe ich einen Kern, ein Wesen in mir, das unveränderbar zu mir gehört und meine Persönlichkeit bestimmt. 

Zweitens ist mir aufgefallen, wie sehr sich die Welt in den letzten 36 Jahren verändert hat. Ein Handy kommt in diesem Roman nicht vor, weil es noch kein Handy gab. Wenn der beschriebene Mann im Winter mit dem Auto ins Tessin fahren will, verlädt er auf den Autozug und lässt sich durch die Schwärze des Gotthardtunnels transportieren. Was übrigens schön zu beschreiben ist. Eine solche Beschreibung wäre heute nicht mehr möglich, da es den Autozug nicht mehr gibt.

Drittens bin ich immer wieder über Passagen gestolpert, die so, wie sie dastanden, nicht von mir sein konnten. Ich hatte den Roman sehr rhythmisch verfasst. Die Sprache hatte einen bestimmten Rhythmus, der mich durch den ganzen Roman getragen hat bis zum Schluss. Dieser Rhythmus mochte gefallen oder auch nicht, für mich war er entscheidend. Und dieser Rhythmus war im gedruckten Roman mehrfach unterbrochen, was das Werk einer Lektorin war. 

Damals im fernen Jahr 1980 war die Hohezeit der Lektoren. Sie haben, ausgerüstet mit Theorie und analytischem Verstand, in verschiedenen Sparten die Macht übernommen. Sie begannen, allen, die etwas taten, zu erklären, wie sie das, was sie taten, anders und besser tun sollten. Das war das, was sie taten: Leute korrigieren, die etwas taten. Sie selber taten sonst nichts. Lektoren zum Beispiel schrieben selten Romane. Sie erklärten den Romanschreibern bloss, wie man einen Roman zu schreiben hatte. 

Ich selber habe ein Laster. Ich kann mich für einen Text, den ich geschrieben habe, nicht wehren. Ich sacke dann bloss zusammen und schreibe eine Zeit lang nichts mehr. Denn ich bin der Meinung, die Tatsache, dass ich einen Text so und nicht anders aufschreibe, zeige deutlich genug, dass ich ihn so und nicht anders haben wollte. 

Gute Lektoren sind ein Segen für jeden Autor. Aber meine damalige Lektorin war schlecht. Es mag ja sein, dass sie in einigem oder sogar in vielem recht hatte. Aber was heisst das schon? Es gibt tausend Möglichkeiten, einen Satz zu formulieren. Schreiben heisst, einen Satz genau so aufzuschreiben, wie man ihn haben will. Sich diese Freiheit herauszunehmen. Den Satz sogar zu veröffentlichen, und zwar unter dem eigenen Namen. Schreiben heisst auch, die eigenen Fehler selber zu machen. Perfektionismus ist schrecklich, Fehler sind produktiv. 

Ich weiss noch, wie mich damals die Lektorin in ihrem Verlagsraum zum Lektorat empfangen hat. Ihre Hände haben gezittert vor Erregung, vor Kampfeslust. Sie wollte mit mir um meinen Text kämpfen, stundenlang, Wort für Wort. Ich bin gleich zusammengesackt. Was für ein Irrsinn, um einige Sätze eines Romans kämpfen zu wollen. Als ob es eine Instanz geben würde, die weiss, was richtig und was falsch ist. Was für eine Verschwendung von Lebenslust und Produktivität. 

Schreiben ist für mich die schönste Tätigkeit, die ich mir vorstellen kann. Schreiben heisst, sich fortwährend zu entscheiden, für ein Wort, für einen Satz. Das Schwierigste sind die ersten Sätze. Stimmen die, hat man eine Sprachebene, auf der man losfahren kann. Im Gegensatz zum Strassenverkehr braucht man dafür keinen Verkehrspolizisten. Denn die Welt der Sprache ist die Freiheit.

Erstmals erschienen in der Basler Zeitung am 8.4.2016.

 

Der Roman, der vor 36 Jahren herauskam und jetzt neu aufgelegt wurde, heißt Lieber Leo. Er ist am 25.5.2016 erscheinen. Auch als ebook.

Hansjörg Schneider, geboren 1938 in Aarau, arbeitete nach dem Studium der Germanistik und einer Dissertation unter anderem als Lehrer, als Journalist und am Theater. Mit seinen Theaterstücken war er einer der meistaufgeführten deutschsprachigen Dramatiker, seine ›Hunkeler‹-Krimis führen regelmäßig die Schweizer Bestsellerliste an und sind mit Mathias Gnädinger in der Hauptrolle verfilmt worden. 2005 wurde er mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Er lebt als freier Schriftsteller in Basel und im Schwarzwald.

Lieber Leo
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