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Stefanie vor Schulte über die Hintergründe ihres Romans ›Das dünne Pferd‹ – Ein Interview

Stefanie vor Schultes Roman Das dünne Pferd ist ein lebenspraller und draufgängerischer Roman, der vor dem Hintergrund des Weltuntergangs von Mut und Unbeugsamkeit erzählt. Im Interview spricht die Autorin darüber, wie es zur surrealen Mischung zwischen Dystopie und Western kam und erläutert, welche Rolle Feminismus und die Emanzipation von Frauen in ihrer Geschichte spielt.

Foto: Gene Glover /© Diogenes Verlag

Interview mit Stefanie vor Schulte

Wie kam es zu der ungewöhnlichen und zuweilen surrealen Mischung aus Western und grenzüberschreitender Zukunftsvision?
Der Western erzählt oft mit begrenztem Figurenangebot in übermächtiger Natur von Rache und Helden. Frauen sind dabei quasi unerzählte Figuren, meistens tot. Sie haben keine Bedeutung für das weitere Geschehen. In Dystopien hingegen finden sich häufig Frauenfiguren. Ohne Frauen, potenzielle Mütter, ist der Untergang tatsächlich das Ende. Also braucht es Frauen in Endzeitvisionen als Hoffnungsträgerinnen. Ein Genre, in dem weder Frauen noch die Zukunft eine Rolle spielen mit einem Genre zu vereinen, in dem es möglicherweise um nichts anderes geht, hat mich fasziniert.

Die Geschichte, die Sie erzählen, ist tiefgründig und ruft durch die Rückblenden zu Arias Kindheitserfahrungen eine psychologische Ebene auf. Zugleich ist sie kraftvoll, mitreißend und humorvoll. Fällt es Ihnen leicht, die richtige Balance zu finden?
Die richtige Balance finde ich, indem ich die Wärme in einer Geschichte suche. Gibt es davon genug, scheint sie mir ausgewogen zu sein, und es fällt mir nicht schwer, diesem Kompass zu folgen.

Aria ist eine mutige und willensstarke Frau, eine Beschützerin. Dennoch ist sie nicht frei von Lasten. Wie war es für Sie, sich in diese Figur hineinzuversetzen?
Arias Innerstes ist unter Druck geformt. Zwänge, Ängste und eine stete Überforderung haben sie geprägt. Die Momente ihrer Unbeschwertheit sind rar gesät. Aber ich statte meine Figuren nicht mit Schicksalen aus, an denen sie zugrunde gehen. Aria zeigt uns vielmehr, dass Mutterschaft und Care-Arbeit während eines Krieges, während eines Weltuntergangs auch weiterhin gestemmt werden müssen. Was bedeutet das? Wie sieht das aus? Das sind Themen, die mich als Mutter natürlich beschäftigen. Arias Unruhe und stete Sorge, eine gewisse Hartnäckigkeit, die mitunter verbissen wirkt, das sind alles Wesenszüge, bei denen ich Aria ganz nah gewesen bin. Und letztendlich sind auch meine Tage so, dass ich nicht ausgeruht ins Bett gehe.

Kinder reagieren allergisch auf Erwachsene, Eltern vergessen ihre Kinder – das regt zum Nachdenken an. Was steckt für Sie hinter dieser Vorstellung?
Die Beziehung von Eltern zu ihren Kindern, und insbesondere die von Müttern zu ihren Kindern, wird ständig neu beleuchtet, bekommt neue Facetten und Zuschreibungen. Es geht um Achtsamkeit, Überforderung, um das Keine-Kinder-Wollen, um den Verzicht auf Kinder aufgrund mangelnder Ressourcen, um ganz viele wichtige und zuvor ungesagte Dinge. Die Liste ist lang. Dürfte noch länger sein. Jedoch findet sich auf der Seite der Kinder ein unveränderter Zustand: Kinder sind auf ihre Eltern angewiesen. Diese Aussage ist kurz und doch ebenso wichtig. Es scheint mir unvereinbar, beiden Seiten gerecht zu werden. Aber was geschieht, wenn Kinder nicht mehr Teil der Debatte sind?

Welche Rolle spielen Tiere in Ihrem Roman? Und waren sie von Anfang an ein Teil der Idee für diese Geschichte?
Das Pferd war ganz zu Beginn noch nicht, dann aber relativ schnell Dreh- und Angelpunkt der Geschichte und blieb es, wenn auch das Geschehen um es herum starken Schwankungen unterworfen war. Das Pferd, dessen rätselhaftes Auftauchen eine Reihe von Ereignissen auslöst, ist domestizierte, mythenüberladene Natur. Es steht – neben seiner speziellen Bedeutung für Aria – gleichsam für jedes Tier, dem sich der Mensch nähert. Der Mensch hat eine Sehnsucht nach dem vermeintlich Ursprünglichen, das er sich zu eigen machen versucht. Das Pferd reiten. Den Hund zum Freund haben. Den Vogel auf der Schulter. Aber was ist, wenn die Natur gar nicht mit uns befreundet sein will?

Das Aufbegehren, der Zusammenschluss und die Emanzipation von Frauen sind einige der Themen Ihres vielschichtigen Romans. Würden Sie sich und Ihr Schreiben als feministisch bezeichnen?
Mir geht es vor allem um die Möglichkeiten, die meine Figuren haben und die Möglichkeiten, die ich beim Schreiben meiner Figuren habe. Ich will alles wagen dürfen, und meine Figuren auch. In dieser Geschichte brauchen die Opfer keine ausgeprägte Rache, obwohl das Genre des Westerns dafür geeignet wäre. Aber ich wollte den Western anders erzählen. Das Prinzip der Rache sollte durch ein bewahrendes Moment ersetzt werden. Ich wollte nicht von Frauen erzählen, die sich althergebrachter Methoden bedienen. Colt und Mantel übernehmen und alles wie gehabt. Sie machen es anders. Ihnen unterlaufen Fehler. Ihnen fehlt die Zeit für Whiskey und Duelle, weil sie die Kinder durchbringen müssen. Mich interessiert nicht die Abwandlung oder der Aufschrei. Mich interessiert die eigene Gattung. 

Das dünne Pferd
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Das dünne Pferd

Was bleibt, als zu fliehen, wenn Kinder plötzlich allergisch auf Erwachsene reagieren, Eltern ihre Kinder vergessen, wenn Hunde ihre Herren anfallen und die Natur des Menschen überdrüssig ist? Pflegekraft Aria und Kollegin Marion retten fünfzehn Kinder aus der vom Untergang gezeichneten Stadt und versuchen die vielleicht letzten Wochen in einem ehemaligen Badehotel würdevoll zu bestehen. Doch den Bewohnern von Einstadt und den Cowboys rund um Imre Brandt sind sie ein Dorn im Auge. Als Aria ein Pferd am Strand entdeckt und darauf beharrt, es zu bergen, geht es plötzlich um alles. Die Feindseligkeit der Männer eskaliert, aber die Frauen finden Verbündete und geben nicht kampflos auf.


Hardcover Leinen
256 Seiten
erschienen am 21. August 2024

978-3-257-07313-3
€ (D) 25.00 / sFr 34.00* / € (A) 25.70
* unverb. Preisempfehlung
Auch erhältlich als

Stefanie vor Schulte, 1974 in Hannover geboren, ist studierte Bühnen- und Kostümbildnerin. Sie lebt mit ihrem Mann und vier Kindern in Marburg. Ihr erster Roman, Junge mit schwarzem Hahn, wurde 2021 mit dem Mara-Cassens-Preis für das beste deutschsprachige Debüt ausgezeichnet.