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›Für Polina‹ – Leseprobe aus Takis Würgers neuem Roman

Nach Jahren, in denen Hannes Prager nichts als Leere und Sehnsucht fühlt, holt der Tatendrang ihn ein. Mithilfe einer selbst komponierten Melodie versucht er, seine Kindheitsfreundin und große Liebe wiederzufinden. Wird sie ihn hören? 

In Für Polina schreibt Takis Würger eine Liebesgeschichte, die noch lange nachklingt. Der Roman des Bestseller-Autors erscheint am 26. Februar – hier ein erster Einblick.

Leseprobe

Auszug, Seiten 11-13 

In den Sommerferien vor ihrem Abitur reiste Fritzi Prager mithilfe mehrerer Regionalzüge, einer Lastwagenfahrerin und eines verliebten Paares, das sie über den Brenner mitnahm, in die toskanische Stadt Lucca. Dort bezog sie in einer günstigen Pension am Piazza San Michele ein Zimmer, das nach gebratenen Zwiebeln roch. Tagsüber lag sie im Schatten der alten Stadtmauer und las die wunderbar duftenden Bücher, die sie mitgebracht hatte. Abends aß sie Focaccia mit Rosmarin und scharfem Olivenöl und lief durch die Gassen, bis ihre kleinen Zehen in den Sandalen wund gescheuert waren. Fritzi genoss, dass sie allein war, sah den Menschen zu und träumte sich in die vielen Leben hinein, die sie würde führen können, wenn sie die leidige Schule endlich abgeschlossen hätte. Irgendwann wollte sie auch mit einer Familie an einem Tisch mit rot-weiß karierter Decke sitzen und den Straßenmusikern zuhören.

An einem Abend lernte sie einen älteren Mann aus Hamburg kennen. Er sprach sie an, gab ihr zwei Negronis aus, erzählte, er sei in seiner Firma eigentlich der Chef, und legte wie zum Beweis eine dicht bedruckte Visitenkarte neben ihr Glas, was Fritzi so unbeholfen fand, dass es sie rührte. Sie trank und hörte zu. Er sei beruflich in der Toskana. Natursteinhandel, sagte er, er trage außerdem die gleiche Uhr wie der Erstbesteiger des Mount Everest, er sprach über Politik, Carrara, Parmaschinken, über eingelagerte Minerale im Cipollino-Marmor und die daraus resultierenden wellenförmigen Strukturen, über seinen vertrottelten Vorgesetzten, über Fußball, hielt dann unvermittelt inne und fragte, ob sie, Fritzi Prager, schon einmal gehört habe, dass ihr Gesicht aussehe wie das der Dienstmagd mit Milchkrug auf dem gleichnamigen Gemälde Jan Vermeers.

Fritzi fand, er rede zu viel. Aber sie mochte seine sonnenbraunen Hände und die Tatsache, dass sie mit einem fremden Mann sprach an einem toskanischen Sommerabend, der so warm und satt war, als könnte man ihn in Scheiben schneiden – obwohl sie sich gewünscht hätte, der Mann wäre Italiener und ein wenig unberechenbarer. In einer Trattoria bestellte er für sie die gefüllten Zucchiniblüten, die sie schon den ganzen Urlaub kosten wollte, er sagte, er würde Fritzi natürlich einladen. Die Zucchiniblüten waren salzig, das Fett lief Fritzi beim Reinbeißen über das Kinn, und der Mann konnte sie dann doch nicht einladen, weil er kein Bargeld dabeihatte, sondern nur goldene Karten aus Plastik. Dafür gab er Fritzi im nächsten Lokal, das über ein Kartenlesegerät verfügte, drei Gläschen Piemonteser Haselnussgeist aus. Als er sagte, in seiner Hotelbar gebe es einen Tresen, der aus einem einzigen Block grünem Silikatmarmor geschnitten war, den müsse sie gesehen haben, tat er ihr leid. Sie ging mit. Sie fand es interessant, die Nacht mit einem Mann zu verbringen, der graue Haare hatte. Sie wusste nicht, dass das Medikament, das sie eine Woche vorher nach dem Genuss eines verdorbenen Tiramisus eingenommen hatte, die Verhütungspille unwirksam machte. Die Packungsbeilage war auf Italienisch und die Apothekerin römisch-katholisch. 

Einige Wochen später stieg Fritzi Prager in der staubigen Augusthitze im Zentralbahnhof Lucca in einen Zug nach Norden. Eine halbe Stunde später übergab sie sich in den kleinen metallenen Klappmülleimer neben ihrem Sitz. Sie ahnte, dass das keine Reiseübelkeit war.

Der Frauenarzt daheim in Hannover Linden untersuchte Fritzi kurz nach ihrer Rückkehr. Er hatte ihr die Pille verschrieben, die dann versagt hatte, und nahm die Angelegenheit persönlich. Er wusste, dass Fritzi eine der besten Schülerinnen ihres Jahrgangs war, und das trotz ihres prügelnden Vaters und der noch mehr prügelnden Mutter. Fritzi wollte in München Jura studieren. Jura, weil ihr die klare Sprache in dem Gesetzbuch gefiel, das sie sich in einer Buchhandlung nahe der Leibniz Universität angesehen, nicht verstanden, aber sofort ins Herz geschlossen hatte. München, weil es zwar nicht Italien war, aber an guten Tagen fast, wie Fritzi gehört hatte.

Der Arzt bot ihr an, mit ihr über alle Optionen zu sprechen. Er benutzte das Wort Missgeschick. Fritzi legte eine Hand auf ihren Bauchnabel und eine auf die plastikblau behandschuhte Hand des Arztes und sagte leise: »Herr Doktor, ich an Ihrer Stelle würde jetzt sehr vorsichtig sein.«

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Takis Würger, geboren 1985, studierte Ideengeschichte in Cambridge. Für das Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtete er aus Afghanistan, Libyen und dem Irak. Seit 2020 ist er freier Autor. Seine Romane Der Club und Stella waren Bestseller und sind in viele Sprachen übersetzt. Takis Würger lebt in Leipzig.