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Neues aus Indien: Lavanya Sankaran im Interview

Gleich zwei Premieren bei Diogenes: Eine neue Autorin und der erste Roman aus dem modernen, aufstrebenden Indien. Mit Die Farben der Hoffnung hat Lavanya Sankaran ein übersprudelndes Buch voller Optimismus, Menschlichkeit und Humor geschrieben – für Kopf und Bauch, fürs Herz und alle Sinne.

Foto: © Anandi Chowriappa

Ihr Debütroman Die Farben der Hoffnung erzählt von den höchst unterschiedlichen Lebenswegen zweier Menschen in der indischen Millionenmetropole Bangalore: Anand, Unternehmer und Besitzer einer kleinen Fabrik, und Kamala, die als Dienstmädchen für Anands Frau arbeitet. Woher kam die Idee zu dieser Geschichte?

Lavanya Sankaran: Die Farben der Hoffnung handelt vom modernen Indien mit all seinen Widersprüchen. Mein Land ist chaotisch, faszinierend, verblüffend, herzzerreißend, und davon wollte ich erzählen. Anand, die eine Hauptfigur des Romans, ist ein guter, fähiger Mann, der kämpft, um sich und seine Firma über Wasser zu halten. Die Idee zu seiner Geschichte hatte ich eines späten Abends, als ich im Fernsehen einen Dokumentarfilm von National Geographic sah, in dem es um die amerikanischen Siedler und Pioniere ging, um die Fähigkeiten, die man haben muss, um in einer so rauhen, feindlichen Umgebung zu überleben und etwas aufzubauen. Da hat es klick gemacht. Ich habe gemerkt, dass sich um mich herum ganz Ähnliches abspielt: Seit Jahren beobachte ich, wie indische Unternehmer versuchen, auf Weltniveau zu produzieren und zu arbeiten, in einer Umgebung, die sie in keiner Weise dabei unterstützt. Wenn eine Regierung korrupt und ineffizient ist und ihre Versprechen nicht hält, dann lässt sie ihre Bürger im Stich, auf sich selbst gestellt in einer feindlichen und gefährlichen Welt. Und wie bei den amerikanischen Pionieren können in dieser Welt nur außergewöhnliche Persönlichkeiten Erfolg haben, Leute, die zäh sind, die nie klagen, nie aufgeben.

Ein Kritiker schrieb, neben Anand und Kamala sei die dritte Hauptfigur in Ihrem Roman die Stadt Bangalore. Was sagen Sie dazu?

Bangalore spielt tatsächlich eine tragende Rolle in dem Buch, die Stadt beeinflusst die Schicksale meiner Figuren. In Bangalores Entwicklung von einem verschlafenen Nest zu einer wirtschaftlich boomenden Metropole lässt sich beispielhaft beobachten, wie sich Indien in den letzten zwei Jahrzehnten verändert hat und immer noch verändert. Ein solcher Wandel ist nie einfach, und der Wohlstand verteilt sich sehr ungleichmäßig über die Bevölkerung. Bangalore bietet den Menschen unglaubliche Möglichkeiten, aber besonders für die Mittelschicht und die Armen ist die Stadt auch voller Probleme, als da sind: unzuverlässige Infrastruktur, schlechte Regierungsführung, Korruption. Und was für Bangalore gilt, gilt auch für ganz Indien.

Was gefällt Ihnen am besten an Bangalore?

In Bangalore findet sich das Beste, was das moderne Indien zu bieten hat: eine jugendliche, dynamische Energie, die Menschen aus dem ganzen Land und der ganzen Welt anzieht. Die Stadt ist ständig im Umbruch, erfindet sich immer wieder neu, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch, was die kulturelle Entwicklung betrifft. Bangalore ist voller interessanter Menschen, die interessante Dinge tun. Eine altehrwürdige Kultur, mitten in einem hektischen Modernisierungsprozess – das ist natürlich für eine Schriftstellerin faszinierend zu beobachten. Die Stadt ist der ideale Ort für ein kreatives Leben. Ganz abgesehen von dem tollen Klima.

Was gefällt Ihnen am wenigsten an Bangalore?

Die Stadt ist so rasant gewachsen, ohne jede städtebauliche Steuerung, dass es zu einer unvorstellbaren Zersiedelung gekommen ist, mit schrecklichen Staus, unzureichender Infrastruktur und einer großen Belastung der städtischen Ressourcen. Hinzu kommt natürlich die große Plage unserer Nation: die allgegenwärtige Korruption in der Verwaltung. Das kann auf das Leben einzelner Menschen eine verheerende Wirkung haben, auch davon erzähle ich in Die Farben der Hoffnung. Mit mehr als 8 Millionen Einwohnern ist Bangalore ein Universum für sich – und müsste auch entsprechend regiert werden.

Die Farben der Hoffnung ist Ihr erster Roman. Erzählen Sie uns ein wenig von sich, von Ihrem Leben, bevor Sie Schriftstellerin wurden.

Gelesen und geschrieben habe ich schon mein Leben lang. Daneben habe ich viele andere Dinge gemacht. Ich habe die Welt bereist und an den unterschiedlichsten Orten gelebt. Ich habe in Fastfood-Cafés meinen Lebensunterhalt verdient, Böden gewischt und Toiletten geschrubbt. Ich habe als Investmentbankerin in New York und für eine Unternehmensberatung in Indien gearbeitet. Ich habe eine Familie gegründet. Ich interessiere mich allgemein für Politik und Gesellschaft, und sehr wichtig ist es mir auch, genug Zeit für meine Vipassana-Meditation zu haben.

Das alles hat natürlich meine Literatur geprägt und mir viel Stoff für Geschichten geliefert. Romane und Erzählungen schreiben heißt versuchen, mit künstlerischen Mitteln der menschlichen Natur auf den Grund zu gehen. Dafür stützt man sich auf alle möglichen Quellen, auf die eigenen Erfahrungen, aber auch auf die Erfahrungen anderer, ob sie nun aus dem echten Leben stammen oder aus Büchern.

Aus dem Englischen von Margaux de Weck

Lavanya Sankaran, geboren in Bangalore, Indien, studierte am Bryn Mawr College in Pennsylvania und arbeitete dann als Investmentbankerin in New York und als Unternehmensberaterin in Indien, ehe sie zu schreiben begann. Ihre Artikel und Kommentare sind in Zeitungen wie der New York Times und dem Guardian zu lesen. Die Farben der Hoffnung ist ihr erster Roman und erscheint am 27.8.2014. Lavanya Sankaran lebt mit ihrer Familie in Bangalore.