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Doris Dörrie in Film und Buch

Doris Dörrie ist Autorin, Regisseurin und Leitung des Lehrstuhls ›Creative Writing‹ an der Filmhochschule München. 1985 gelingt ihr mit ihrem Film Männer der große Erfolg. Seither drehte sie zahlreiche Filme und schrieb Bücher: Kurzgeschichten, Romane, ein Buch über das Schreiben, Kinderbücher und zuletzt Die Reisgöttin – ein wunderbarer Band über ihre ganz persönlichen Reisesouvenirs.

Sabine Lidl, ebenfalls Regisseurin, Kamerafrau und Drehbuchautorin, hat nun einen Dokumentarfilm über Doris Dörrie gedreht. Doris Dörrie - Die Flaneuse heißt er und widmet sich ganz dem Leben, Schaffen und Erfolg von Doris Dörrie.

Am 19. Juni wurde der Film erstmals im Fernsehen ausgestrahlt. Seither ist er –  verfügbar bis zum 24. September 2024 – kostenfrei in der arte Mediathek zu sehen.

Für alle, die nicht genug von Doris Dörrie bekommen können, gibt es hier den Trailer zum Film und eine Leseprobe aus ihrem jüngsten Buch Die Reisgöttin.

Foto: © Medea Film Factory
Die Reisgöttin
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Die Reisgöttin

und andere Mitbringsel
Mehr zum Inhalt
Die Plastik-Kirschblüten aus Japan erzählen von Dreharbeiten und dem flüchtigen Augenblick der Schönheit. Dr. Bronners Magic Soap aus den USA erinnert an eine lebenslange Freundschaft. Die ramponierte Plüschkatze aus Istanbul gibt Zuversicht und Mut zum Durchhalten. Die Hasenkaraffe vom Flohmarkt im Allgäu gibt Anlass zu einer Liebeserklärung an herrlich unnützen Kitsch. Safran aus Spanien macht unweigerlich fröhlich, ob in der Paella oder im Risotto Milanese. Kurze Texte über kleine Dinge, die viel über den Ort erzählen, von dem sie stammen, und über die Schreibende, die sich in sie verliebt und im Handgepäck mit nach Hause genommen hat. Doris Dörries ›Zeit‹-Kolumne »Aus meinem Handgepäck« zum ersten Mal in Buchform, mit drei unveröffentlichten Texten.

Hardcover Gebunden
112 Seiten
erschienen am 20. März 2024

978-3-257-07294-5
€ (D) 24.00 / sFr 32.00* / € (A) 24.70
* unverb. Preisempfehlung
Auch erhältlich als

Leseprobe

Feuerwehrmütze

Diese seltsame Mütze fand ich in einem Secondhandladen in einem Stadtviertel Tokios, das sonst für sein Geschirr berühmt ist. Da ich ein strenges Verbot meiner Familie auferlegt bekommen hatte, keine weiteren Teller und Teetassen und Reisschalen aus Japan anzuschleppen, hatte ich tatsächlich nichts gekauft und fühlte mich unschuldig und rein, als ich auch schon in diesem kleinen Laden versank, der alte Textilien anbot. Aus einem Haufen zog ich diese Mütze heraus und setzte sie auf. Sie war ein wenig kratzig und sehr schwer, sie roch diffus nach Rauch, als habe ein Kettenraucher sie getragen, ich sah nur aus einem schmalen Schlitz, den man auch zuklappen konnte. Also eine Komplettverhüllung. Ich sah mich schon, wie ich sie im Winter auf dem Fahrrad trug, bestens geschützt gegen Wind und Wetter, ich lachte und fragte den Verkäufer, für welche Anlässe diese Mütze denn wohl gedacht gewesen sei. Seine Antwort verstand ich nicht, er schrieb sie auf, es war eins der wenigen chinesischen Schriftzeichen, die ich beherrsche, endlich verstand ich: Feuer! Eine Feuerwehrmütze. Sie wurde in Wasser getaucht und klatschnass aufgesetzt, um sich so in das zu löschende Feuer zu stürzen. Und dann sagte der Verkäufer noch eine Zahl: 1923, das Jahr des großen Kanto-Erdbebens. Es geschah zur Mittagszeit, als gerade überall in den alten Holzhäusern auf offenen Feuern gekocht wurde. In Windeseile breitete sich ein gigantischer Feuersturm aus, angefacht von einem nahenden Taifun. Die Stadt Tokio wurde fast vollständig zerstört. Der Verkäufer nickte ernst und sagte jetzt mit einem Mal auf Englisch: »The hat saw it.« Ich hatte immer noch die Mütze auf dem Kopf, der Verkäufer schrieb eine Zahl auf ein Stück Papier und hielt sie mir vor den Sehschlitz. Ich rechnete um, siebzig Euro für den Zeitzeugen einer Katastrophe, die Mütze eines vielleicht sehr tapferen Feuerwehrmanns, den ich so posthum noch ehren konnte, ich hatte jetzt kaum noch eine Wahl. Ich kaufte sie also und schleppte sie mit nach Deutschland. Die Familie verdrehte die Augen, aber es war immerhin keine weitere Keramik. Manchmal setze ich die Mütze kurz auf und bilde mir ein, den fast hundert Jahre alten Rauch und den Angstschweiß eines tapferen Feuerwehrmanns zu riechen. Vielleicht war es nur eine Geschichte, die mir der Verkäufer erzählt hat – aber sie ist nun in meinem Kopf und geht auch nicht mehr weg.

Balinesische Reisgöttin

Die Balinesen führen ein wirklich anstrengendes Leben. Rund um die Uhr und jeden Tag muss eine andere hinduistische Gottheit mit umfangreichen Zeremonien geehrt werden, müssen Tänze aufgeführt, Obstpyramiden aufgeschichtet, Opfergaben hergestellt werden. Kleine Opferkörbchen liegen überall, manchmal an schönen Orten, oft genug aber auch mitten auf der Straße im tosenden Verkehr, um wieder andere Gottheiten zu erfreuen oder zu beschwichtigen. Die Körbchen werden vor Tagesanbruch hergestellt nach festen Arbeitsschritten, bestimmte Blüten müssen gepflückt und hineingelegt werden, bevor sie geweiht und verteilt werden. Frauen basteln sie, Männer weihen sie; und da die moderne Frau nicht alles schaffen kann, werden sie inzwischen schnöde getackert statt wie früher mit eigens dafürgesammelten Kiefernnadeln genäht. Die Götter scheinen ein Einsehen mit der Doppel- und Dreifachbelastung von balinesischen Frauen zu haben und akzeptieren diese Version. Touristen davon abzuhalten, sie als Andenken einzusammeln, oder sie von den heiligen und oft geheimen Zeremonien fernzuhalten ist ein weitaus größeres Problem. Am besten lädt man sie zu besonders endlosen, aber eher unwichtigen Zeremonien herzlich ein und gibt ihnen einen Vorzugsplatz in der brütenden Sonne, gleich neben den blutigen Hühneropfern. Und wenn das nicht hilft, bringt man sie mit stundenlangem Gamelanspiel um den Restverstand. Da sie darüber hinaus aber alle, wirklich alle, eine wertvolle alte Holzskulptur einer Gottheit mit nach Hause schleppen wollen, muss man wohl oder übel im Akkord schnitzen, die Statuen raus in Sonne und Regen stellen, bis sie hübsch verwittert aussehen, und sie dann unter dem Motto »one week antique« verkloppen. Das gefiel mir so gut, dass ich diese Reisgöttin, die es so gar nicht gibt und die also garantiert nicht älter als eine Woche war, einfach mitnehmen musste. Sie altert jetzt von Woche zu Woche ganz wunderbar anmutig vor sich hin und bewacht sämtliche meiner Reisgerichte, besonders gern, wie mir scheint, Risotto alla milanese. Da lächelt sie immer so kryptisch.

Das Goldene Vlies

Meine Großmutter besaß ein unbequemes Sofa und eine kratzige goldfarbene Decke. Auf diesem Sofa sollte ich abends schlafen, während die Erwachsenen redeten und Wein miteinander tranken. Ich hasste das Sofa und die Decke, bis ich die Sagen des klassischen Altertums von Schwab geschenkt bekam und begriff, dass es gar keine kratzige Decke war, sondern das Goldene Vlies, das Fell des mythischen griechischen Widders, der fliegen und sprechen konnte. Von da an sprach das Goldene Vlies zu mir. Es erzählte mir, dass Jason es unbedingt finden müsse, aber keine Ahnung habe, wo es sich gerade aufhalte. Die brennende Frage war also, wann Jason im Wohnzimmer meiner Großmutter auf tauchen und sein Goldenes Vlies zurückfordern würde. Das konnte dauern, las ich, denn er hatte im Schlamm eine seiner Sandalen verloren, so wie ichständig meine Flipflops, und irrte in der Gegend umher, säte Drachenzähne in den Garten meiner Großmutter, aus denen Krieger hervorwuchsen, die sich, weil Jason listig unter ihnen herumsprang, gegenseitig umbrachten. Er hätte nun einfach ins Haus kommen können, um mir das Goldene Vlies zu entreißen, aber wie ich dank Schwab wusste, musste er erst noch Medea kennenlernen und eine lange, komplizierte und blutrünstige Geschichte durchstehen. Mich auf das Sofa zu legen und mit der kratzigen goldenen Decke zuzudecken war lange für mich, wie ins Kino zu gehen. Der Höhepunkt des Tages. Ich brauchte nichts weiter als mein Goldenes Vlies. Keiner fragte mich, warum ich mit einem Mal so erpicht darauf war, auf dem Sofa und unter dieser Decke zu liegen, selbst im Hochsommer. Als meine Großmutter starb und meine Mutter mich fragte, ob ich irgendein Andenken an sie haben wolle, wollte ich unbedingt diese Decke haben, die inzwischen löchrig und ein wenig unansehnlich ist, aber immer noch golden schimmert. Sie liegt jetzt auf meinem auch ziemlich unbequemen Sofa, und ich brauche sie nur anzuschauen, um ganz deutlich Jason zu sehen, wie er mit nur einer Sandale durch den Schlamm hinkt und immer noch sein Goldenes Vlies sucht. Eines Tages, davon bin ich überzeugt, wird er bei mir vor der Tür stehen.

(Auszug aus Die Reisgöttin und andere Mitbringsel, S. 21-26)