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»Bei all meinen Recherchen und Erkenntnissen über Isidors Leben hatte ich das Gefühl, ich gebe ihm eine Geschichte – SEINE Geschichte zurück.«
Ein Interview mit Shelly Kupferberg - Teil 1

Shelly Kupferberg, eine der Diogenes-Autor:innen, die gerade mit uns auf der Buchmesse sind, hat im Sommer ihr Debüt vorgelegt: Das erzählende Sachbuch Isidor. Ein jüdisches Leben. Die bekannte Journalistin und Moderatorin erzählt darin vom rasanten Aufstieg und brutalen Sturz ihres Wiener Urgroßonkels.

»Ein literarischer Stolperstein.« Findet der Professor für Soziologie an der Akademischen Hochschule von Tel Aviv Natan Sznaider in einem Gastbeitrag für Der Spiegel.

Im ersten Teil des Diogenes Interviews verrät uns die Autorin mehr über Isidor und darüber, welche Frage sie ihm gerne gestellt hätte.

Hier geht es zu unseren Veranstaltungen auf der Frankfurter Buchmesse.

Foto: Heike Steinweg / © Diogenes Verlag

Wie kamen Sie darauf, dass die Geschichte Ihres Urgroßonkels eine besondere ist und als Buch erzählt werden muss? War Isidor schon immer faszinierender Gesprächsstoff in Ihrer Familie?

Mein Wiener Großvater Walter erzählte, nein, spielte uns stets temperamentvoll vor, wie er als Jugendlicher in den 1930er- Jahren jeden Sonntag in das Palais seines Onkels Isidor zum Mittagessen gehen musste, um dort zu »performen«. Er war ein sehr guter Schüler und ein Jahreszahlengenie. Aber viel mehr wusste ich eigentlich nicht, außer dass mein Urgroßonkel Isidor sehr wohlhabend war und von den Nazis sofort nach dem »Anschluss« Österreichs verhaftet wurde.

Viele Jahre nachdem mein Großvater bereits verstorben war, moderierte ich eine internationale Tagung zu Nazi-Raubkunst, Provenienzforschung und »20 Jahre Washingtoner Abkommen« in Berlin. Und plötzlich erinnerte ich mich: Da gab es doch diesen Isidor in Wien, der angeblich in einem Palais lebte und sehr betucht gewesen sein soll. Was für Kunst hing eigentlich an den Wänden dieses Palais? Ich wusste, dass Isidor aus ärmlichsten Verhältnissen stammte – wie war er zu so viel Geld gekommen? Die Recherche hat ein detektivisches Gen in mir erweckt, ich wurde immer neugieriger, je mehr ich über ihn herausfand, und fing an, sein Leben zu rekonstruieren. Von der absoluten Armut im ostgalizischen Nirgendwo bis in die Donaumetropole zum Lebemann und erfolgreichen Kommerzialrat. Das war nicht ganz einfach, es gab zunächst wenig über ihn, und so musste ich, um an Informationen heranzukommen, mir ständig überlegen, wo ein Mensch wohl überall Spuren hinterlassen haben könnte. Was mich bei alledem besonders interessierte: Wie muss jemand beschaffen sein, der einen solchen Aufstiegswillen verspürt? Und so sehr auf das Inszenatorische Wert legt? Ich hatte ursprünglich vor, ein Radiofeature über meine Spurensuche zu machen. Aber das Material wurde mehr und mehr ...

Beschreiben Sie uns Isidor bitte kurz. Und gibt es etwas, was Sie ihn gern hätten direkt fragen können?

Soweit ich seinen Charakter anhand des wenigen, was sich von ihm selbst erhalten hat, rekonstruieren kann, glaube ich, dass er – gelinde gesagt – kein reiner Sympathieträger war. Fest steht: Er war unglaublich stolz auf seinen sozialen und finanziellen Aufstieg, sicherlich zu Recht. Er schien ein sehr autoritärer, herrischer Typ gewesen zu sein, trug gerne Verantwortung als Leiter diverser Wirtschaftsunternehmen, aber liebte eben auch das Schöne, die Bildung und den Genuss. Gleichzeitig hatte er auch etwas Rebellisches und war sehr großzügig, all das macht ihn für mich wiederum sympathisch. Vor allem liebte er die Oper – also auch hier wieder: die Inszenierung.

Gerne hätte ich ihn gefragt, warum er die Zeichen der Zeit verkannt hat oder verdrängen wollte. Warum ist er nicht rechtzeitig geflohen, bevor die Nazis in Österreich einmarschierten? In den Kreisen, in denen er sich bewegte, wird er sicherlich gewarnt worden sein. Aber offenbar hat er all das nicht ernst genug genommen und war sich sicher, ihm würde nichts passieren. Bitter.

Stellte sich im Laufe der Spurensuche eine Art Erkenntnis ein, welcher Leitgedanke trieb Sie an?

Bei all meinen Recherchen und Erkenntnissen über Isidors Leben hatte ich das Gefühl, ich gebe ihm eine Geschichte – SEINE Geschichte zurück. Das brutale und abrupte Ende seines Lebens hat auch alle seine Spuren vernichtet. Diese wieder ans Licht zu bringen, sichtbar zu machen, zu erzählen, hat für mich fast etwas Tröstliches – wobei sich das Grauen und Leid natürlich nicht wiedergutmachen lassen. Aber es ist eine späte Anerkennung seines Lebensweges und seiner Träume. Darüber hinaus macht seine Lebensgeschichte vieles über die damalige Zeit deutlich: einen unbedingten Anpassungswille, das Vertuschen der eigenen Herkunft, das unbedingte Dazugehörenwollen, der Wunsch nach Anerkennung. Ich denke, diese Themen sind zeitlos. Aber es geht auch darum, welche Bedeutung Geschichten haben können. Für mich, aus einer jüdischen Familie kommend, in der nicht vieles überlebt hat, spielen sie eine enorm wichtige Rolle. Sie sind kostbar. Sie sind eine Art Erbe. 

 

Das Interview führte Kerstin Beaujean, März 2022 © by Diogenes Verlag AG Zürich

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Isidor

Ein jüdisches Leben

Shelly Kupferberg, geboren 1974 in Tel Aviv, ist in Westberlin aufgewachsen und hat Publizistik, Theater- und Musikwissenschaften studiert. Sie ist Journalistin und moderiert für Deutschlandfunk Kultur und RBB Kultur diverse Sendungen zu Kultur und Gesellschaft. Shelly Kupferberg lebt mit ihrer Familie in Berlin.

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