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Benedict Wells im Gespräch mit Joey Goebel über sein neues Buch ›Irgendwann wird es gut‹

Auf der Suche nach einem Weg durchs Leben und nach dem einen Menschen, der ihn mit uns geht. Benedict Wells fragt, Joey Goebel antwortet.

Joey Goebel (Foto: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag) und Benedict Wells (Foto: © Bogenberger / autorenfotos).

Lieber Joey, nach vier Romanen hast du dein erstes Kurzgeschichtenbuch geschrieben. Was gab den Ausschlag, dich an die kurze Form zu wagen? Für mich fühlte es sich an, als hättest du als Erzähler einen ganz neuen Ton angeschlagen.

Als ich mich mit dem Gedanken trug, Schriftsteller zu werden, war das meine erste Idee für ein Buch. Damals war ich Student und entdeckte Winesburg, Ohio von Sherwood Anderson. Ich dachte daran, eine moderne Version dieses Buchs zu schreiben, mit Kurzgeschichten über einsame Seelen, die in einer Kleinstadt in Kentucky leben. Sobald mir Ideen für Romane statt für Geschichten einfielen, verfasste ich Romane. Doch meine ursprüngliche Idee hatte ich immer im Hinterkopf, und mittlerweile bin ich wohl erfahren und reif genug, um dieses Buch endlich zu schreiben.

Es gibt wahre Meister der Kurzgeschichte, für mich etwa Carson McCullers und F. Scott Fitzgerald, aber auch J. D. Salinger und Lucia Berlin. Hattest du neben Sherwood Anderson schriftstellerische Vorbilder, was Short Storys angeht?

McCullers und Fitzgerald sind zwei meiner absoluten Lieblingsschriftsteller. Aber in Bezug auf meine eigenen Short Storys ließ ich mich vor allem durch die Kurzgeschichten inspirieren, die mir nicht gefallen haben. Zahlreiche Short Storys finde ich eher frustrierend – besonders solche mit literarischem Anspruch –, weil einem viele am Ende wie unlösbare Rätsel vorkommen. Das wollte ich vermeiden.

 

Irgendwann wird es gut
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W. Somerset Maugham sagte ja mal dazu über seine Storys: »Ich habe es immer vorgezogen, meine Geschichten mit einem Punkt statt einem Gedankenstrich zu beenden.« War dir das auch wichtig?

Unbedingt! Bei Kurzgeschichten mag ich es endgültig. Ich mag es in sich abgeschlossen. Per definitionem ist eine Kurzgeschichte etwas, das man in einem Rutsch lesen kann – jedenfalls ist das die Definition, die mir immer gefallen hat. Ich wollte also, dass jede einzelne Story den Hunger des Lesers stillt, wie eine Mahlzeit. Am Ende jeder dieser Geschichten sollte sich der Leser nicht mehr groß den Kopf zerbrechen müssen. Bei jeder steht fest, ob die Hauptfigur gewinnt oder verliert. Zugegeben, manchmal ist es sowohl ein Sieg als auch eine Niederlage. Aber ja, ich strebte einen richtigen Punkt an, während viele zeitgenössische Storys mit – naja, gelegentlich nicht einmal mit einem Gedankenstrich enden. Sondern mit Auslassungspunkten …

Für mich ist Irgendwann wird es gut eher ein Roman, bestehend aus einzelnen Geschichten, die aber alle miteinander zusammenhängen. Wie siehst du das?

Ich würde diesen Sprung liebend gern wagen und das Buch schlicht und einfach Roman nennen. Doch meiner Ansicht nach ist es ein Stückchen davon entfernt. Stimmt, ein verbindendes Thema zieht sich wie ein roter Faden durch sämtliche Storys: Einsamkeit, oder auch die zentrale Vorstellung, dass manche Menschen keinen Kontakt zu anderen Menschen herstellen können, es aber irgendwie großartig ist, dass sie es dennoch immer wieder versuchen. Stimmt, der Schauplatz aller Geschichten ist dieselbe Kleinstadt, und alle ereignen sich binnen eines Jahres Mitte der Neunziger. Und es stimmt auch, dass es jede Menge Überschneidungen zwischen den Geschichten gibt (ein paar »Easter Eggs«, die ich für Leute eingebaut habe, die das Buch mehr als ein Mal lesen). Doch ohne zentrale Hauptfigur kommt das Buch etwas am nächsten, was man einen »Roman in Kurzgeschichtenform« nennen könnte. Ich räume aber ein, dass die Reihenfolge der Geschichten dem Buch einen fast kompletten Erzählbogen verleiht. Darum findet sich in diesen Geschichten generell eine traditionelle Handlungsstruktur, der Sachverhalt wird früh klar, und es gibt einen eindeutigen Schluss, der den Leser zufriedenstellen soll.

Joey Goebel. Foto: © Regine Mosimann / Diogenes Verlag

Deine Helden wirken alle etwas verloren, wenn sie so melancholisch und nachdenklich durch ihre Stadt streifen oder versuchen, ihr Leben irgendwie in den Griff zu kriegen. Ich habe seit Das Herz ist ein einsamer Jäger von Carson McCullers nicht mehr so etwas Schönes über Einsamkeit und das Ringen um Hoffnung gelesen. Woraus, denkst du, schöpfst du deine Figuren? Laufen sie alle in Henderson, Kentucky, durch die Straßen, oder kommen sie mehr aus deinem Innern?

Die Figuren kommen tatsächlich aus meinem Innern. Außerhalb meiner Phantasie führe ich kein sehr aufregendes Leben. Ich bin nicht abenteuerlustig. Eigentlich bin ich ein eher schüchterner und zurückhaltender Typ, glaube aber, dass die USA zurzeit gerade mehr Zurückhaltung brauchen. Zurückhaltung und Gelassenheit. Jedenfalls schaue ich mangels Außenreizen in mich hinein und glaube, dass meine Figuren von dorther kommen. Wenn ich es recht bedenke, verkörpern diese Figuren entweder Aspekte von mir, die ich gern verbergen möchte, oder Aspekte von mir, die mir im Laufe der Jahre abhandengekommen sind und die ich gern zurückhaben würde.

Ich stieß auf dich durch deinen ersten Roman Vincentder für mich bis heute eine der besten und originellsten Ideen hat, die ich je in einem Buch las. Dort geht es unter anderem um die Aussage, dass nur der unglückliche, leidende Künstler ein guter Künstler ist, nicht umsonst heißt der Roman im Original Torture the Artist. Der amerikanische Regisseur Elia Kazan hat dagegen mal in etwa gesagt: »Künstlerisches Genie ist lediglich der Schorf, der sich auf den Wunden des Lebens gebildet hat.« Ein schönes, wenn auch etwas ekliges Bild: Solange die Wunde noch offen ist und Blut fließt, kann man als Künstler also nicht arbeiten, oft jahrelang nicht. Doch sobald die Wunde endlich verheilt und geschlossen ist, hat man durch den entstandenen Schorf künstlerisch großes Kapital. Würdest du dem zustimmen?

Ein bemerkenswertes Zitat, übrigens war Kazan mit James Dean befreundet, der in einer meiner Storys eine Rolle spielt. Klar ist da etwas Wahres dran, doch ich sehe das von einer eher praktischen Seite aus. Die von ihm erwähnten Wunden entstehen aufgrund von inneren oder äußeren Konflikten. Und da an der Wurzel jeder Geschichte ein Konflikt steht, fehlt einem – praktisch gesehen – das Material, wenn das Leben nur schöne Seiten für einen bereithält. Und ich stimme deiner Interpretation voll und ganz zu. Wenn man sich im Inneren des Schmerzes befindet, wenn er einen umhüllt, kann man sich nicht durch Schreiben daraus befreien. Schreiben kann man erst, wenn man wenigstens halbwegs frei ist.

Foto: Andreas Faessler [CC BY-SA 4.0] via Wikimedia Commons.

In Deutschland lesen wir sehr gerne die Kommentare amerikanischer Autoren aus New York oder Los Angeles, die uns die politische Lage unter Donald Trump erklären und wieso die abgehängten Leute im »Fly-Over«-Teil des Landes ihn wohl wählen. Du dagegen lebst nicht am Rande, sondern im Zentrum des Geschehens – in Kentucky. Dort hat Trump haushoch gewonnen. Und in deinem fast schon prophetischen Buch Heartland hast du mit Blue Gene eine Romanfigur, die man sich trotz aller Sympathie auch gut als seinen Wähler vorstellen kann. Wie siehst du die Situation im Moment?

Ha! Auch dazu passt meine letzte Antwort. Ich bin noch im Inneren des von Trump zugefügten Schmerzes, der jeden meiner Schritte beeinflusst. Ich kann mich dazu nicht ausführlich äußern oder darüber schreiben, weil ich die Lage so bedrückend finde. Im Rückblick kann ich sie eines Tages vielleicht klarer sehen und einschätzen. Ich möchte aber ergänzen, dass Trumps Amtsantritt den Tod der Satire markiert. Meine Werke haben immer satirische Elemente enthalten – und manchmal sehr viele. Das war einmal. Welchen Sinn hätte Satire, wenn das Leben an sich absurder ist als alles, was ich mir ausdenken könnte? Und das hat meine Entscheidung beeinflusst, diese Storys in einem viel realistischeren Stil zu schreiben als alles in meinen bisherigen Büchern. Diese Geschichten sind geerdet und plausibel, weil das Leben in den USA das nicht mehr ist.

Foto via pixabay.com

 In der wunderbaren ersten Kurzgeschichte Unsere Olivia fällt der Satz: »Die Leute hier haben das dumpfe Gefühl, dass sich das Leben anderswo abspielt.« Auch in weiteren Geschichten hadern die Figuren mit ihrer Stadt, trotzdem hast du als Ort genau dieses Moberly gewählt, das in vielem an deine eigene Heimatstadt erinnert. Hattest du selbst mal den Wunsch abzuhauen? Und wenn ja, wohin am liebsten?

O Gott, absolut, klar hatte ich den Wunsch, wegzuziehen oder wegzulaufen. Das ging los, als ich noch ein Jugendlicher war. Kalifornien hat mich schon immer gereizt. Das ist einfach so – es hat für mich diesen Mythos, wie für viele andere ja auch. Doch da meine Bücher ein Publikum in den deutschsprachigen Ländern gefunden haben, habe ich mich schon gefragt, ob ich nicht besser in Deutschland, Österreich oder in der Schweiz wäre. Doch erst mal bleibe ich wie meine Figuren am besten da, wo ich bin, denn auch ich habe jetzt einen Grund zu bleiben: meinen kleinen Sohn Joe, meinen Helden.

Wenn ich deine Bücher lese, fühle ich mich deinen Figuren nahe, aber auch der Art deines Erzählens. Das habe ich so bei nur ganz wenigen Autoren. Es schimmert häufig ein starkes Gefühl für exzentrische, einsame, verlorene, aber liebenswerte Charaktere durch, immer fein beobachtet, immer grundiert von einem subtilen Humor – unvergesslich. Was würdest du sagen, ist der rote Faden, der durch all deine Geschichten geht?

Der rote Faden ist eindeutig Einsamkeit – zufällig ja auch eines deiner Lieblingsthemen. Oder anders gesagt, alle Hauptpersonen dieser Storys fühlen sich von anderen Menschen wie abgeschnitten. Diese Isoliertheit ähnelt der Einsamkeit, aber während ich mir einsame Menschen wie in einer Art durchlässiger Blase vorstelle, leben die Figuren in meinen Geschichten wie hinter einer dicken Glasscheibe. Sie können zwar hindurchsehen, aber irgendetwas hindert sie daran, sie zu zerbrechen, mit anderen in Kontakt zu treten und mit ihnen gemeinsam zu leben. In jeder meiner Geschichten hackt der Held oder die Heldin aber dann auf die Glasscheibe ein, trotz aller Rückschläge voller Hoffnung, dass es ihm oder ihr endlich gelingen möge, auf die andere Seite zu gelangen, ein winziges Stück vom Glück zu erkämpfen. Und manchmal, und immer öfter, klappt es sogar.

 

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Joey Goebel, 1980 in Henderson, Kentucky, geboren, ist Schriftsteller, Drehbuchautor, Musiker – ein weltweit gefeiertes Multitalent. Seine Romane Vincent, Freaks und Heartland wurden in 14 Sprachen übersetzt. Joey Goebel hat einen kleinen Sohn und lebt in Henderson, wo er englische Literatur unterrichtet.

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