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Rabea Weihser über ihr erzählerisches Sachbuch ›Wie wir so schön wurden‹ – Ein Interview

»Ein Gesicht spiegelt ja nicht nur das Innere einer Person, an seiner Oberfläche brechen sich auch gesellschaftliche Sehnsüchte, Zwänge und Ideologien«, weiß Rabea Weihser, die Autorin von Wie wir so schön wurden. Im gewitzten, anregenden und bereichernden Sachbuch setzt sie sich mit aktuellen Kosmetikphänomenen auseinander und erkundet die Spielarten unseres Schönheitstriebs.

 

Foto: Fabian Raabe / © Diogenes Verlag

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine ›Biografie des Gesichts‹ zu schreiben? Was hat Sie an dem Thema fasziniert?

Ich hatte schon immer eine große Neugier dafür, was Menschen schön finden und warum. Und wenn man heute ins Internet oder auf die Straße guckt, wundert man sich doch häufig, wie die Leute ihre Gesichter gestalten, ob mit Schminke, Spritzen oder OPs. Zudem scheinen junge Menschen unter einem noch stärkeren Schönheitsdruck zu leiden als vorige Generationen. Ein Gesicht spiegelt ja nicht nur das Innere einer Person, an seiner Oberfläche brechen sich auch gesellschaftliche Sehnsüchte, Zwänge und Ideologien. Ich fand es unglaublich reizvoll, diesen Komplex zu erkunden. Ich wollte verstehen, welchen Anteil an unserem ästhetischen Empfinden unsere sehr behäbige Biologie hat und was wir der flüchtigen Kultur zuschreiben können. Als Biografie verstehe ich diese Erzählung, weil sie so etwas wie eine Jahrtausende dauernde Coming-of-Age-Geschichte des attraktiven Gesichts ist: Wie kam es zu dem, was wir heute sehen?

In Ihrem Buch finden Sie diverse Zugänge zum Thema Schönheit, von Geschichte und Kultur über Ethik und Ästhetik bis hin zum politischen Blick. Wie sind Sie bei der Recherche zu diesen ja sehr unterschiedlichen Facetten vorgegangen?

Für die Recherche zu jedem Kapitel habe ich mich in ein neues Wurmloch gestürzt und bin darin mehrere Wochen verschwunden. Das hat mir wahnsinnigen Spaß gemacht. Jeden Tag habe ich mir eine neue Frage überlegt und dann in Literatur, Bibliotheken und Fachmagazinen nach Spuren gesucht. Meine kultursoziologische Perspektive bezieht viele mögliche Denkansätze mit ein. Da geht es unmittelbar um technische, körperliche, psychologische, politische oder wirtschaftliche Bedingungen. Und wenn sich am Ende jedes Kapitels aus diesem Riesenpuzzle eine Erzählung schält, ist das für mich ein sehr beglückendes Gefühl.

Inwiefern hat sich mit der Arbeit an diesem Buchprojekt Ihr Blick auf Gesichter verändert?

Ich schaue mir Gesichter anderer Leute sehr viel präziser an, aber auch sehr viel wohlwollender. Ich weiß jetzt, welche archaischen Stimmen sich in mir melden, wenn ich positiv oder negativ reagiere. Und ich kann sehr viel bewusster entscheiden, ob ich diesen Stimmen zuhören will. Die reden nämlich – aus einer heutigen, modernen Sicht – auch viel Blödsinn. Obwohl dieses Buch sich gern mit Oberflächen beschäftigt, hat es mir einen neuen Blick auf Menschlichkeit und Empathie beigebracht. Ich gehe anders mit Menschen um, und das kommt im besten Sinne zu mir zurück.

Was ist das für Sie Prägnanteste, was Sie – auch während der Recherche für Ihr Buch – über Schönheitsideale und das Begehren nach Schönheit gelernt haben? Was war das Überraschendste, auf das Sie gestoßen sind?

Überraschend war im Rückblick, wie Makel immer wieder zu Idealen umgedeutet wurden und wer die soziale Macht hatte, Schönheitsnormen zu definieren. Mit diesem Wissen im Hinterkopf begegnet man heutigen Trends ein bisschen gelassener. Besonders habe ich mich über historische Beispiele gefreut, die bezeugen, dass die Kultur es immer wieder schafft, unsere triebhafte Natur zu besiegen. Dass körperliche Schönheit also nicht bloß ein Symbol für optimierte Fortpflanzungsbedingungen ist. Und, ehrlich gesagt, habe ich zu jedem Kapitel so lange recherchiert, bis aus einer vagen Idee so ein elektrisierender Aha-Moment für mich wurde. Zum Beispiel, warum Haut, Milch und Schönheit ein kulturell unzertrennliches Trio bilden. Oder warum sensible, an der Gesellschaft zweifelnde Männer gern schwarzen Kajal benutzen. Oder warum sich in den 1920ern die sexuell befreiten Flapper plötzlich so kleine Münder schminkten, obwohl doch volle Lippen immer schon für Sinnlichkeit standen. Oder was tuberkulosekranke Jane-Austen-Figuren mit Kylie Minogue und Kate Moss zu tun haben. Oder was unsere Augenbrauen alles kommunizieren, ohne dass wir es beabsichtigen. Die Zeit der Buchrecherche war so spannend, dass sie im Nu verging.

Und was macht die Gesichter unserer Zeit aus? Lassen sich bestimmte Merkmale festklopfen?

Viele Leute fragen sich allmählich, ob Schönheitseingriffe und eine künstliche Optimierung bald die neue Norm sind. Man sieht einfach auf Social Media so viele ähnliche, gemachte Gesichter. Frauen und Männer wollen auf ewig jung aussehen und den jeweiligen biologischen Geschlechterstereotypen perfekt entsprechen. Stärker als die Angst, mit Nadeln und Messern den eigenen Körper zu verletzen, sind offenbar Minderwertigkeitsgefühle, Anpassungsdruck und eine verzerrte ästhetische Wahrnehmung. Klar, seit der Höhlenmensch technische Hilfsmittel nutzt, gibt es keine Natürlichkeit mehr. Aber diese hochgetunte Künstlichkeit, die uns gerade überall anstarrt, verschiebt unsere kollektive Auffassung davon, was überhaupt menschlich ist. Es wäre ja doch wünschenswert, dass auch das nur eine Mode ist.

Ein Interview mit Rabea Weihser von Viktoria Zima, Februar 2025
© by Diogenes Verlag AG, Zürich

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Wie wir so schön wurden

Eine Biografie des Gesichts

Nichts fesselt unseren Blick wie ein Gesicht. Ist es freundlich, offen, schön? Ungeschminkt, bearbeitet, entstellt? Zieht es uns an, stößt es uns ab? Und warum? Wie sich Menschen zurechtmachen, verrät viel über ihre Sehnsüchte, aber auch über die Gesellschaft, in der sie leben. Von den großen Augen der Pharaonen bis zu den glatten Oberflächen der Social-Media-Beautys führt uns Rabea Weihser durch den verrückten und schillernden Kosmos der Idealvorstellungen. Diese aufregende Expedition zum Grund unserer ästhetischen Vorlieben verändert den Blick auf die Schönheiten und Gesichter unserer Zeit. Gewitzt, anregend, bereichernd.


Hardcover Leinen
352 Seiten
erschienen am 26. Februar 2025

978-3-257-07336-2
€ (D) 26.00 / sFr 35.00* / € (A) 26.80
* unverb. Preisempfehlung
Auch erhältlich als

Rabea Weihser, geboren 1981, hat Musikwissenschaften und Marketing in Hamburg und Wien studiert. Nach dem Abschluss ging sie als Musikredakteurin zu ›Zeit Online‹ und leitete ab 2014 das Kulturressort. 2021 wechselte sie zum Basketballverein Alba Berlin als erste Kulturdirektorin der Bundesliga. Heute lebt sie als Autorin in Berlin.